Overview
Sagen sind volkstümliche Geschichten, die eng mit Orten und Landschaften verbunden sind. Sie unterscheiden sich von Mythen oder Märchen, weil sie konkrete Schauplätze aufgreifen und das Verhältnis der Menschen zu ihrer Umgebung widerspiegeln. Im vorliegenden Projekt dienen sie deshalb als Zugang zur Frage, wie Raumwahrnehmung, Identität und kulturelles Selbstverständnis im Kanton Uri sich im Zuge seiner funktionalen Bedeutung als Transitkanton verändert haben und wie sie heute erlebt und vermittelt werden.
Die von Pfarrer Josef Müller 1926 gesammelten Urner Sagen erzählen von Teufeln, „armen Seelen“ oder geheimnisvollen Naturmächten. Solche Gestalten verkörpern nicht nur Ängste und Hoffnungen vergangener Zeiten, sondern spiegeln auch wider, wie die Menschen ihre oft bedrohlich oder ambivalent empfundene Landschaft erlebt haben. Gleichzeitig zeigen die Geschichten, wie stark sich die Wahrnehmung des Raums verändert: Mit dem Ausbau des Gotthardtransits verwandelte sich Uri von der „Wiege der Eidgenossenschaft“ zunehmend in eine Durchgangsregion – mit tiefgreifenden Folgen für Dörfer, Lebensqualität und Identität.
Gerade vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Sagen mehr sind als Relikte der Vergangenheit. Sie können helfen, kollektive Erfahrungen zu verarbeiten, Wandel zu reflektieren und neue Formen von Gemeinschaft zu schaffen. Genau hier setzt das Projekt an: Gemeinsam mit Urner:innen – von Schüler:innen bis zu Senior:innen – werden traditionelle Motive aufgegriffen und mit aktuellen Fragen rund um Landschaft, Umwelt und Zugehörigkeit verknüpft.
Eine Besonderheit des Projekts ist die Verbindung von Tradition und Technologie. Mit Augmented Reality (AR) entstehen neue Vermittlungsformate, die Sagenschauplätze direkt erlebbar machen. Durch visuelle, akustische und interaktive Elemente können Besucher:innen Geschichten vor Ort entdecken – sinnlich, dialogisch und niederschwellig. So wird die Sagentradition nicht nur bewahrt, sondern auch kreativ weiterentwickelt.
Ziel ist die Entwicklung eines AR-Prototyps und eines digitalen, partizipativen Sagenarchivs. Unterschiedliche Perspektiven der Bevölkerung fliessen darin ein und machen sichtbar, wie eng Geschichten, Landschaft und Identität miteinander verflochten sind. Damit trägt das Projekt nicht nur zur kulturellen Selbstverortung im Kanton Uri bei, sondern eröffnet auch neue Perspektiven für Tourismus, Bildung und regionale Entwicklung.