Kinderrechte – eine tolle Errungenschaft zum Schutz und zur vollwertigen Beteiligung der jüngsten an unserer Gesellschaft. 1989 wurden sie an der UN-Vollversammlung verabschiedet, 1997 durch die Schweiz ratifiziert. Damit diese noch junge Errungenschaft nicht ausgedruckt in einem Bundesordner verstaubt, sondern im Sinne der Kinder umgesetzt wird, verlangen die UN in regelmässigen Abständen von der Schweiz und den weiteren Vertragsstaaten einen Staatenbericht. Dieser wird kritisch bewertet und kommentiert.
Wo bleibt die nationale Strategie?
Die Schweiz hat nun Rückmeldung zum kombinierten 5. und 6. Staatenbericht und damit zum Stand der Umsetzung der Kinderrechte in diesem Land erhalten – eine Gelegenheit, einige ausgewählte Punkte aus diesen Rückmeldungen aufzugreifen. Vorweg: Dass unsere staatlichen Organe die Berichtszyklen von 5 Jahren teilweise ignorieren und zwei davon zusammenfassen, ist nicht unbedingt ein Zeugnis für die Wichtigkeit der UN-Kinderrechte für dieses Land. Die mangelnde Bedeutung der Kinderrechte für die Schweiz widerspiegelt sich auch auf der kritisierten Strategielosigkeit auf Ebene Bund. Zwar ist die Umsetzung von Kinderrechten in weiten Teilen Angelegenheit der Kantone, dies entlässt den Bund jedoch nicht aus der Pflicht, sich zumindest strategisch gezielter für die Umsetzung der Kinderrechte einzusetzen und den Kantonen Orientierung vorzugeben.
Wann kommt es endlich?
Auch wenn sich sicher vieles zum Guten entwickelt hat, so sind die weiteren vorhandenen Lücken umso ärgerlicher, da sie meist hinlänglich bekannt sind, sich aber dennoch seit Jahren nicht arg viel bewegt. Ein Dorn im Auge ist der UN ist denn auch, dass die Schweiz nach wie vor als einer von wenigen einkommensstarken Staaten weltweit kein Verbot von Körperstrafen in der Erziehung gesetzlich umgesetzt hat. Gewalt in der Erziehung ist nicht nur ethisch verwerflich, nutzlos ist sie ebenso. Dazu gibt es ausreichend wissenschaftliche Belege. Umgekehrt gibt es empirische Erkenntnisse, dass ein gesetzliches Gewaltverbot in die Situation der Kinder verbessern kann. Wieso sich ein Staat, der seine jüngsten Mitbürgerinnen und Mitbürger ernst nehmen will, auch 2021 noch dagegen sträuben kann, Gewaltfreiheit in der Erziehung gesetzlich anzuerkennen, bleibt deshalb ein Rätsel. Immerhin hat nach Erscheinen der abschliessenden Bemerkungen zum Staatenbericht der Nationalrat am 30.9.2021 als Erstrat die Motion Bulliard-Marbach zur Verankerung der Gewaltfreien Erziehung im ZGB gutgeheissen.
Der Blindflug
Scharf ist die Kritik des Ausschusses für die Rechte des Kindes auch zur mangelnden systematischen Datenerhebung im Bereich der Kinderrechte – konkret wird der Kindesschutz herausgestrichen. Hier ist die Schweiz auf Blindflug: Wie will man wissen, ob sich die Situation der Kinder über die Jahre und vielfältigen Bemühungen hinweg verbessert, ob Kinder in allen Landesteilen unter den gleichen Bedingungen Schutz und Hilfen gewährt erhalten, wenn systematische Daten zum Thema fehlen, die über Zusammenfassungen von Leistungen hinausgehen? Dass eine Datenerhebung auch über verschiedene am Kinderschutz beteiligte Bereiche – KESB, klinische Kinderschutzgruppen uvw. – mit vertretbarem Aufwand möglich ist, hat die von der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit mitgeleitete Optimus-Studie aufgezeigt.
Luft nach oben
Weitere Anmerkungen des Ausschusses für die Rechte des Kindes greifen z.B. Lücken im Asylverfahren bei Kindern auf oder die ungenügende Integration von Kindern mit Behinderung in die Regelschule. Kritisch werden auch die fehlenden verbindlichen Qualitätsstandards in der Kita-Betreuung herausgestrichen. Obschon die Stichworte rund um die Partizipation von Kindern und Jugendlichen bei staatlichen Eingriffen in ihr Leben im aktuellen Fachdiskurs allgegenwärtig sind, wird auch hier noch deutlich Luft nach oben wahrgenommen.
Wohin des Weges?
Da der Staatenbericht der Schweiz noch weitgehend vor der Corona-Pandemie verfasst wurde, streifen die abschliessenden Bemerkungen durch den Ausschuss für die Rechte des Kindes die Folgen der Pandemie für Kinder nur am Rande. Eine andere dringliche Frage unserer Zeit wird jedoch aufgegriffen: Was hinterlassen wir unseren kommenden Generationen für eine Erde? In diesem Kontext wird der zu hohe ökologischen Fussabdruck der Schweiz kritisiert. Wie schon Einstein wusste, sind echter Fortschritt und grosse Entdeckungen nicht möglich, solange sich nicht erst die Situation der Kinder verbessert.