Es liegt ein vielseitiges Semester hinter Ihnen. In den ersten Wochen mussten Sie einzeln einen Erörterungsaufsatz zum gewählten Thema schreiben. Anschliessend griffen Sie in Fokusgruppen einen Aspekt heraus und entwickelten für die sogenannte Blockwoche am Ende des Semesters eine Forderung, die Sie dann in die Schlussdebatte einbrachten. Was hat Ihnen am besten gefallen?
Anna Huber*: Zum Semesterstart den Erörterungsaufsatz zum Thema Corona zu schreiben, war unterwartet. Es gab wahnsinnig viel zu lesen, hat mir aber letztlich Spass gemacht. Dann kam die Phase der Gruppenbildung und die Einführung in die Recherchephase. Wir haben uns via Zoom und Online-Foren ausgetauscht. Wie die Blockwoche ablaufen soll, war für mich erst nicht ganz klar. Viele waren Anfang Woche etwas am Anschlag. Das Semester im Zoom-Format war anstrengend, die Luft war raus. Letztlich hat die Blockwoche aber viele Studierende sehr motiviert, auch mich. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das Ende Woche sage: Es war der Höhepunkt des Semesters. Nach und nach realisierten wir während der Woche, dass alles, was wir im Semester gelernt hatten, wieder zusammenkommt. Das hat mich begeistert.
Berta Weber*: Ich habe mich mit dem Thema Sans-Papiers beschäftigt. Während des Semesters mussten wir fortlaufend Posts auf der Lernplattform machen und schreiben, was wir herausgefunden haben und wie wir das mit den Theorien unserer Grundausbildung verbinden. Das hat oft viel Zeit gebraucht und war herausfordernd. Die beiden letzten Tage des Semesters waren die besten: Indem ich mich traute, mich an der Debatte zu beteiligen, habe ich ein grosses persönliches Ziel erreicht.
Conrad Meier*: Beim Thema Corona haben sich die politischen Dimensionen stets sehr schnell verändert. Wenn ich heute meine Erörterung von Anfang Semester lese, unterscheidet sich die damalige Corona-Debatte von der heutigen.
Eine wichtige Übung war auch, sich von eigenen Interessen zu distanzieren und eine Fachposition zu entwickeln. Ist Ihnen das schwer gefallen?
Anna Huber: Da ich auch privat ähnliche Interessen vertrete, fiel es mir einfach, die Rolle als Fachperson einzunehmen. An der heutigen Debatte über Corona mit einem SVP-Politiker konnten wir zeigen, wie man die Interessen der eigenen Gruppe auf eine gute Art rüberbringt. Das hatten wir vorgängig in einer Übungsdebatte geprobt.
Conrad Meier: Zum Zeitpunkt der Erörterung fiel es mir schwer; in der Blockwoche war es mir aber dann klar. Die Studienleitung hat uns sehr gut an diesen Prozess herangeführt; er war gut verknüpft mit Theorien und Wissen aus dem Grundstudium.
Wie haben Ihnen Theorien als Bezugsrahmen geholfen? Fiel es Ihnen schwer, die Theorie für die Debatte in verständliche Worte zu bringen?
Berta Weber: Wir haben den Politikern natürlich nicht unsere Theorien erklärt. (lacht) Mir hat die Systemtheorie von Luhmann geholfen, die andere Seite besser zu verstehen und Dinge besser einzuordnen.
Anna Huber: Ich lernte, dass man Dinge aus verschiedenen Perspektiven sehen und auch in verschiedenen Disziplinen Lösungen suchen muss. Für eine fruchtbare Debatte muss man sein Gegenüber verstehen; verstehen, wieso jemand eine andere Haltung hat.
Conrad Meier: Ja, das war herausfordernd. Glücklicherweise wurde vorgängig in einem Vortrag aufgezeigt, wie man Argument aufbauen kann. Das hat mich sehr unterstützt. Man erkennt bei diesem Vorgehen auch die Schwäche oder Stärke eines Arguments.
Corona, Digitalisierung, Sans-Papier sind grosse sozialpolitische Themen. Wie relevant sind sie für Ihre tägliche Arbeit?
Anna Huber: Ich habe mit meiner Fokusgruppe die Retraditionalisierung von Rollenbildern in der Pandemie untersucht. Das hat eine extreme Relevanz für unseren Alltag. Mit diesem Bewusstsein werde ich künftig den Alltag bestreiten, und ich fühle mich auch dafür verantwortlich, diese Entwicklung zu durchbrechen.
Berta Weber: Beruflich habe ich nicht mit Sans-Papiers zu tun; aber das Semesterthema hat mir aufgezeigt, dass es auch unsere Aufgabe ist, die Unsichtbaren sichtbar zu machen; und wohin meine Arbeit führen könnte. Wenn man als Sozialarbeiterin tätig ist, wird man irgendwann mit Sans-Papiers Kontakt haben. In der Pandemie sind Sans-Papiers sichtbarer geworden. Eine Politikerin sagte in der Debatte, das sei auch eine Chance.
Conrad Meier: Da ich auf einer Notaufnahme arbeite, betrifft mich Corona nicht nur privat, sondern auch beruflich. Ich erlebe täglich, dass viel mehr junge Menschen zu uns kommen als im Normalfall.
Wie bewerten Sie das Modul und die Debatte als Semesterabschluss?
Berta Weber: Ich würde mir wünschen, dass im Grundstudium noch mehr Diskussionen und Gefässe eingebaut würden, in denen man sich mündlich äussern muss.
Anna Huber: Vielleicht wäre es besser gewesen, früher Übungsdiskussionen abzuhalten. Womöglich hätten sich dann mehr Leute getraut, an der Schlussdebatte teilzunehmen.
Conrad Meier: Wir haben die Lupe genommen und die Soziale Arbeit darunter angeschaut. Das hat grossen Spass gemacht, auch wenn es mega streng war. Das Modul ist didaktisch sehr gut aufgebaut: Das wurde mir während dieser Woche klar. Dahinter steckt eine grosse Denkarbeit.
Bei jeder Debatte waren eine Moderatorin und zwei Politiker zugegen. Wie haben Ihnen die Diskussionen gefallen? Was nehmen Sie für die Zukunft mit?
Conrad Meier: In die Debatte sind sehr viele Themen eingeflossen, sodass der Fokus etwas verloren ging. Eine wichtige Erkenntnis ist: Wir müssen Brücken bauen sowie Erkenntnisse und Kräfte bündeln, Argumente gut überlegen und uns bewusst sein, in welchem Umfeld wir uns bewegen. Im Berufsalltag sind wir ja oft in einer Bubble, in der alle eine ähnliche Meinung haben. Doch in der Politik braucht man 50 Prozent der Stimmen. Und sobald es um Geld geht, stimmen die Menschen sehr konservativ.
Anna Huber: Das war auch bei mir eine wichtige Erkenntnis: Alles muss mehrheitsfähig sein. Es ist immer gut, eine Meinung zu haben. Damit man etwas bewirken kann, muss man sie aber fundiert begründen können. Die Diskussionen verliefen relativ ruhig, was vielleicht auch Zoom geschuldet war. Wenn man sich ins Wort hätte fallen können, wäre es lauter gewesen.
Berta Weber: Stimmt, die Gespräche waren auch bei uns nicht besonders kontrovers. Wir haben Gehör gefunden, konnten uns äussern, ohne uns eingeschüchtert zu fühlen. Die Arbeit von Martine Brunschwig, der früheren Genfer FDP-Politikerin und Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, hat uns gezeigt, was alles möglich ist. Dass wir wegkommen müssen von einer manchmal pessimistischen Sichtweise. Für mich war die Debatte ein Aha-Erlebnis!
Anna Huber: Für mich auch. Mich haben die Blockwoche und die Debatte motiviert, mich politisch zu engagieren.