Janet Stojan
Laut einer Umfrage von kibesuisse – Verband Kinderbetreuung Schweiz – sind 50 Prozent des eingesetzten Personals im Frühbereich Nichtprofessionelle, also Menschen ohne pädagogische Ausbildung. Das ist laut Martin Hafen eine heikle Situation und eine heikle Zahl. Denn: Zur Beurteilung altersgerechter Entwicklungsverläufe oder bei der Beurteilung von familiären Problemen braucht es geschultes Personal. «Fehleinschätzungen sind besonders schwerwiegend im frühen Alter (0–4 Jahre) und der Aufwand, diese im Nachhinein zu beheben, ist enorm hoch.» In der Frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) gibt es eine Vielzahl von Angeboten, in denen sowohl Fachpersonen mit einer formalen als auch «Semiprofessionelle» mit einer eidgenössisch nicht anerkannten Ausbildung arbeiten. Zu der dritten Kategorie der «Nichtprofessionellen» zählen Personen ohne fachspezifische Ausbildung wie Praktikantinnen, Lernende, Ehrenamtliche und bezahlte Laienhelfer und -helferinnen. Mit Blick auf die hohe Zahl der eingesetzten Nichtprofessionellen in diesem sensiblen Bereich kommt Martin Hafen zu der Erkenntnis, dass dringend an entscheidenden Stellen nachgebessert werden muss.
Empfehlungen zum Einsatz nicht- und semiprofessioneller Betreuer und Erzieherinnen
Zum einen legt Martin Hafen in seinem Bericht den Anbietern im Bereich FBBE eine sehr umsichtige Auswahl nicht- und semiprofessioneller Betreuender nahe. Es sollte gründlich überprüft werden, ob die jeweiligen Personen die notwendigen Eigenschaften und Stärken mitbringen, um dieser verantwortungsvollen Aufgabe gerecht zu werden. Im Anschluss sollten die ausgewählten Personen umfassend fachlich vorbereitet, engmaschig begleitet und gut vernetzt werden. Eine durchgehende Beobachtung und Betreuung kann dabei helfen, Kinder vor unprofessionellem Handeln und Nichtprofessionelle vor Überforderung zu schützen. Aber Martin Hafen sieht auch den Bund klar in der Pflicht: «Der Bund weigert sich, Verantwortung und Führung im frühkindlichen Bereich zu übernehmen.»
Erwartungen an Bund und Ausbildung
In Bezug auf den Einsatz Nichtprofessioneller gibt es laut dem Bericht keine einheitlichen Standards, von Kanton zu Kanton sei die Handhabe hinsichtlich Qualitätsanspruch in der frühkindlichen Betreuung sehr unterschiedlich. Hafen fordert hier klare und einheitliche Vorgaben und auch Kontrollen seitens des Bundes. Ebenso sieht er in der Standardisierung der kleineren Fortbildungen (z. B. Spielgruppenleiter/in) einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einer Verbesserung der Ausbildung. Wichtig sei aber auch, neben der Verbesserung der Berufslehre, «die Professionalisierung und Akademisierung des Berufes an sich auf einer höheren Bildungsebene», denn weniger als 20 Prozent der Professionellen im Bereich hätten eine Ausbildung auf Stufe einer Höheren Fachschule, Fachhochschule oder Universität. Zudem schlägt er passgenaue und realitätsnahe Spezialisierungen vor, wie beispielsweise die Fokussierung auf die Sprachförderung.
Kohärente und abgestimmte Bildungslandschaft als grosses Ziel
Für Martin Hafen ist eine intersektorale Sicht auf die Frühe Förderung von unverzichtbarer Bedeutung, wenn die Probleme ernsthaft angegangen werden sollen. Integrationsbeauftragte, Fachpersonen der FBBE, Akteure/-innen in Stadtplanung und Quartiersmanagement, Fachpersonen im Gesundheitswesen, Mütter-/Väterberaterinnen und Sozialarbeitende, die mehrfach belastete Familien unterstützen – sie alle müssen zusammenarbeiten, um zukünftige Bildungsbiografien zu fördern und Brüche in Lebensläufen zu verhindern. Dafür sollten eine feste Verbindung von der frühkindlichen zur formalen Bildung aufgebaut und die Übergänge aktiv gestaltet und begleitet werden. Es brauche eine zentrale Koordinierungsstelle, die familienzentriert und institutionell vernetzt, betreut und Familien in Krisenphasen begleitet.
Vorteile des Einsatzes von Nichtprofessionellen
Der Grundlagenbericht offenbart aber auch Stärken. So kann es beispielsweise vorteilhaft sein, wenn eine nicht- oder semiprofessionelle Person aus dem gleichen Lebensumfeld wie die begleitete Familie kommt und ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Barrieren können auf diese Weise wegfallen, Vertrauen leichter aufgebaut und der Zugang erleichtert werden. Die hierarchischen Unterschiede in solchen Beziehungen sind entsprechend geringer, da es weniger Machtdifferenzen gibt, als wenn eine professionell ausgebildete Person auf eine Familie zugeht. «Insgesamt gibt es also durchaus Argumente dafür, den Einsatz von Nichtprofessionellen in Angeboten der Frühen Förderung für sozial benachteiligte Familien nicht grundsätzlich abzulehnen – sofern die Rahmenbedingungen dafür stimmen.» Martin Hafen weist an dieser Stelle explizit darauf hin, dass der Einsatz Nichtprofessioneller immer nur eine Ergänzung zur professionellen Arbeit mit Menschen sein könne.
Folgestudie in Planung
In Kooperation mit Dachorganisationen im Feld ist eine weiterführende Studie geplant. In dieser Studie soll untersucht werden, in welchem Umfang Nichtprofessionelle eingesetzt werden und mit welchen konkreten begleitenden Massnahmen die Qualität ihrer Arbeit gesichert wird. Als Beispiel führt Martin Hafen den öffentlichen Raum an: «Wenn acht Kleinkinder mit zwei Praktikantinnen oder Praktikanten ohne Begleitung einer Fachperson auf den Spielplatz gehen bzw. auf den Strassen unterwegs sind, ist das besorgniserregend.»
Darüber hinaus soll die Studie aufzeigen, wie Qualität aufgebaut und gesichert werden kann – die Studie schliesst also nahtlos an die Qualitätsdebatte an.