Andrea Bühlmann ist in Möriken (AG) aufgewachsen, also in dem Dorf, in dem der schweizweit bekannt gewordene Köbi F. als Lehrer arbeitete und während mehr als zehn Jahren Mädchen missbrauchte. «Es ist blosser Zufall, dass ich nie bei F. Unterricht hatte», sagt Bühlmann. «Eine Freundin von mir war aber betroffen, was ich erst im Erwachsenenalter erfuhr.» Dieses Erlebnis hat Bühlmann, die seit bald zwanzig Jahren als Kindergartenlehrperson tätig ist, für die Prävention sexueller Übergriffe an Kindern sensibilisiert. So widmete sie dem Thema auch ihre Abschlussarbeit im MAS Sexuelle Gesundheit im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich. «Die Sexualerziehung in der Kindheit gilt als der beste Schutz vor sexuellem Missbrauch», weiss Bühlmann, «mit meiner Arbeit wollte ich Eltern von Kindergartenkindern mit konkreten Tipps bei der Sexualerziehung unterstützen.» Viele Eltern seien unsicher und wünschten sich eine Begleitung durch die Schule. «Bei der Sexualerziehung vier- bis sechsjähriger Kinder geht es nicht darum, ihnen den Sexualakt zu erklären; er ist in diesem Alter von keinerlei Interesse. Wichtig ist aber beispielsweise, dass sie die Wörter für die Geschlechtsteile kennen. Fehlen diese dem Kind, kann es einen Übergriff gar nicht beschreiben.» Den Eltern solches Wissen mitzugeben, ist Andrea Bühlmann ein wichtiges Anliegen.
Sexualerziehung findet im Alltag statt
Kinder zwischen drei und sechs Jahren werden sich ihrer Geschlechtsidentität bewusst. Sie beobachten Unterschiede zwischen Mann und Frau und wiederholen sie in Rollenspielen. Der eigene Körper und die Körper anderer Kinder werden untersucht, etwa in Doktorspielen. Das Kind erlebt, dass die Stimulation der Geschlechtsteile Lustgefühle hervorrufen kann, und versucht diese durch Selbstbefriedigung hervorzurufen. Es fragt sich noch nicht, wie Babys entstehen, interessiert sich aber für die verschiedenen Geburtswege, etwa dann, wenn ein Geschwisterchen erwartet wird. «Sexualerziehung bei Kleinkindern findet deshalb vor allem im Alltag statt», erklärt Bühlmann. «Die Schule kann nur eine ergänzende Rolle übernehmen, während die Hauptverantwortung dieser wichtigen Erziehungsarbeit bei den Eltern liegt.» In ihrer Elternumfrage hat Bühlmann herausgefunden, dass sich zwar die Mehrheit der Eltern als kompetent in der Sexualerziehung einschätzen. Trotzdem hatten sie viele Fragen und äusserten den Wunsch nach einem Factsheet zum Thema. Dieses sollte, so Bühlmann, erwähnen, dass Sexualerziehung sexuellem Missbrauch vorbeugt, eine Definition kindlicher Sexualität, auch in Abgrenzung zur erwachsenen, enthalten, ebenso das richtige Verhalten bei Doktorspielen und kindlicher Selbstbefriedigung. Zudem sollte es die Inhalte der Sexualerziehung auf Kindergartenstufe und deren konkrete Umsetzung erläutern. Literaturtipps runden das Informationsblatt ab. Bühlmann ist überzeugt: «Umfassend informiert werden müssen die Eltern – nicht die Kinder innerhalb weniger Schullektionen.»