Organisationen im Sozialbereich stehen immer mehr unter Druck: Die Ausgaben steigen, aber die Mittel sind knapp, und die öffentliche Hand, oftmals Leistungsbestellerin bei den Organisationen, diskutiert immer wieder über Beitragskürzungen. Trotzdem möchten soziale Institutionen die Bedürfnisse ihrer Klientel bestmöglich erfüllen. In diesem Spannungsfeld von Qualität und Wirtschaftlichkeit ist es für die Organisationen wichtig, sich weiter zu entwickeln und ihre Prozesse laufend anzupassen. Ein einfaches Instrument, das Führungspersonen von sozialen Organisationen dabei unterstützen könnte, existierte bisher nicht. Gängige Qualitätsmanagementsysteme aus der Privatwirtschaft eignen sich weniger, sie sind zu aufwändig. Zudem unterscheiden sich die Zielsetzungen. «Im Sozialbereich geht es um Menschen und deren Betreuung und Unterstützung. In einem Unternehmen steht der Verkauf von Produkten und Dienstleistungen im Zentrum», sagt Alex Lötscher vom Departement Wirtschaft.
Der Status quo wird aufgezeigt
Aus diesem Grund haben die beiden Departemente Wirtschaft und Soziale Arbeit der Hochschule Luzern in Zusammenarbeit mit sozialen Organisationen ein Führungsinstrument entwickelt, das den spezifischen Bedürfnissen von Institutionen im Sozialbereich Rechnung trägt. Es unterstützt sie darin, die Qualität der Leistungen zu prüfen, Schwachstellen aufzudecken und mögliche Risiken im Auge zu behalten. Die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) des Bundes hat das Projekt finanziell unterstützt.
Entstanden ist ein webbasiertes Tool, das sich «Fitnessradar» nennt und aufzeigt, wie «fit» eine Institution in sechs verschiedenen Themenbereichen ist (siehe Box). Untersuchen lässt sich beispielsweise, wie das Risikomanagement ausgestaltet ist oder ob regelmässig eine Bedürfnisklärung für alle Anspruchsgruppen – vom Klienten bis zur Auftraggeberin – stattfindet. Anhand einer Skala von 0 (das Thema findet innerhalb der Organisation keine Beachtung) bis 5 (das Thema wird systematisch bearbeitet) wird der Status quo abgebildet. «Der Fitnessradar zeigt den Organisationen, wo es bei ihnen hapert», sagt Werner Riedweg vom Departement Soziale Arbeit.
Ein internes Diagnoseinstrument
Grundlage für die Beurteilung ist ein Fragebogen, den alle in der Institution – also die Mit-arbeitenden, die Führungskräfte und die Vorstände – ausfüllen. Für die Analyse beziehen sie unter anderem zu folgenden Punkten Stellung: In unserer Organisation werden der bereichsübergreifende Austausch und die Vernetzung gefördert; ich kann Probleme offen ansprechen, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen; wir hinterfragen kritisch die Wirkung unserer Arbeit auf die Klienten und die Gesellschaft; wir arbeiten nach einem Konzept, wie mit Klienten und Kundinnen umgegangen und kommuniziert wird; wenn ich ein Risiko wahrnehme, weiss ich, wo ich dies melden kann.
Die Analyse auf den drei Hierarchiestufen legt nicht nur das Entwicklungspotenzial in sechs Themenbereichen offen, sondern macht auch ersichtlich, ob die diesbezüglichen Einschätzungen der Mitarbeitenden und der Führungsebenen gleich sind oder auseinanderdriften. Ein Beispiel: In einer Firma im Sozialbereich wurde mal gefragt: ‹Sind Ihre Mitarbeitenden integer?› Der Vorstand antwortete entschieden mit Ja. Mitarbeitende hingegen gaben an, dass sich bestimmte Angestellte bereichern würden, indem sie Waren des Unternehmens unter der Hand weiterverkauften oder gratis an Bekannte abgaben. Die Leitung hatte sich zu stark von der Basis entfernt, um das Problem zu erkennen. «Der Fitnessradar ist ein Instrument, um frühzeitig solche Führungs- und Wissenslücken zu entdecken», so Werner Riedweg.
Regelmässig angewendet, bietet das Tool zudem die Möglichkeit, den Verlauf des Verbesserungsprozesses einer Organisation nachzuvollziehen. «Der Fitnessradar ist ein internes Diagnoseinstrument für soziale Institutionen, um zu überprüfen, ob sie ihren eigenen und den Anforderungen der Leistungsbesteller – in vielen Fällen ist dies die öffentliche Hand – genügen», sagt Alex Lötscher. «Die Organisationen werden somit in ihrer weiteren Professionalisierung unterstützt.»
Vielfältige Projektpartner
Der Fitnessradar wurde bereits erfolgreich eingesetzt. Er eignet sich unter anderem für Organisationen im Bereich der Berufsbeistandschaft, Sozialberatungszentren, Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden, Kinder- und Jugendheime, Sozialdepartemente und Behinderteninstitutionen. Bei der Entwicklung des Instruments arbeitete das Forschungsteam der Hochschule Luzern mit dem Sozialamt des Kantons Zug zusammen, das zuständig für die Planung und Steuerung von sozial- und gesellschaftspolitischen Massnahmen ist und bei diversen sozialen Organisationen Leistungen bestellt. Ebenfalls beteiligt haben sich soziale Institutionen, die für den Kanton im Sozialbereich Aufgaben übernehmen: die Zuger Fachstelle punkto Jugend und Kind, die Frauenzentrale Zug und die Stiftung Maihof Zug. Weiter waren die Organisation Transparency International Schweiz und die Stiftung Aid Governance involviert.
Der Fitnessradar ist einsatzbereit und wird vertrieben von der Stiftung Aid Governance: www.hslu.ch/fitnessradar. Das Instrument ist ab sofort für rund 100 Franken pro Mitarbeiterin und Mitarbeiter (exkl. Beratungsleistungen) verfügbar.