Die Frau mittleren Alters ist physisch und psychisch von einem Leben als Prostituierte auf der Strasse gezeichnet. Anfangs kam sie nur sporadisch zu Maria Balmer auf die soziale Beratungsstelle, dann regelmässig. In einem Gespräch berichtete sie von ihrer schwierigen Kindheit und Jugend. Balmer hörte zu und versuchte, sich in ihre Situation einzufühlen. «So konnte ich ihr Verhalten plötzlich besser verstehen und nachvollziehen, warum sie sich immer wieder in Schwierigkeiten verstrickt», erinnert Balmer sich. «Und es entwickelte sich eine Vertrauensbasis, die für den weiteren Verlauf der Beratung entscheidend war.»
Balance zwischen Nähe und Distanz
Die Erlebnisse auf der Beratungsstelle führten Balmer zum Thema ihrer Bachelor- Arbeit am Departement Soziale Arbeit der Hochschule Luzern. Sie untersuchte die Auswirkungen von Anteilnahme in sozialen Beratungssituationen. Damit begab sie sich auf ein relativ junges, jedoch hochaktuelles Forschungsfeld. Für die Wissenschaft gehörten empathische Verhaltensweisen lange in etwa dieselbe Kategorie wie übernatürliche Phänomene, wie der Evolutionsforscher Frans de Waal im Magazin «Zeit Wissen» vom Februar 2016 erklärt. Heutzutage allerdings sei Empathie ein grosses Thema. Ausschlaggebend dafür war unter anderem die Entdeckung der Spiegelneuronen im menschlichen Gehirn vor rund zwanzig Jahren. Vereinfacht gesagt sind sie die biologische Voraussetzung dafür, dass wir Gefühle von anderen nachempfinden können, Freude ebenso wie Leid.
Einfach zu fassen sind Begriffe wie Anteilnahme, Mitleid oder Mitgefühl nach wie vor nicht. «Es gibt zig Definitionen, die sich oft noch überschneiden», sagt Maria Balmer. Für die Sozialarbeit ist entscheidend, dass alle diese Gefühle sich darin äussern, das Leid eines Gegenübers lindern zu wollen. Unterschiede bestehen für Balmer allerdings in der Haltung gegenüber einer Person: «Eine anteilnehmende oder mitfühlende Person nimmt, anders als eine mitleidende Person, bewusst Abstand. Sie zeigt zwar Verständnis, übernimmt aber nicht automatisch die Perspektive der betroffenen Person oder bewertet die Situation gleich wie diese», erklärt sie.
Starke Beziehung
Maria Balmer kommt zum Schluss, dass Anteilnahme ein unerlässlicher Bestandteil in der sozialen Beratung sein sollte. «Das stärkt die Beziehung. Und eine gute Beziehung ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Beratung.» Es falle einfacher, Konflikte anzusprechen, und es sei für beide Seiten leichter, konstruktiv zu bleiben. Mit ihrer Klientin konnte sie jedenfalls verschiedene Schwierigkeiten meistern. Beispielsweise als diese erbost aus der freiwilligen Einkommensverwaltung aussteigen wollte, da Balmer sich weigerte, ihr mehr als vereinbart auszuzahlen. «Ich zeigte ihr auf, dass ich gut verstehe, dass sie diese bevormundende Situation als schwierig empfindet. Das dämpfte ihre Wut, und wir kamen überein, an der Einkommensverwaltung festzuhalten.»
Autorin: Sarah Nigg
Bild: Pixabay
150 Abschlüsse
Im Jahr 2016 schlossen rund 150 Absolventinnen und Absolventen ihr Bachelor- oder Master-Studium am Departement Soziale Arbeit der Hochschule Luzern ab. Im Bachelor bereiten sich die Studierenden auf ihre Tätigkeit als Sozialarbeiterin, Soziokultureller Animator oder Sozialpädagogin vor. Das Master-Studium vermittelt zusätzlich politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte der Sozialen Arbeit.