In der Werkstatt im Technopark Zürich brennt abends noch Licht. «gotthard», der neuste Elektrorennwagen des AMZ-Teams, ist eben erst von der Teststrecke in Weinfelden zurückgekehrt. Die Räder sind abmontiert und liegen gestapelt neben der Hebebühne. Yves Studer, Elektrotechnikstudent am Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern, schraubt einen Teil der Verschalung an der Nase des Boliden ab. Hervor kommen zwei Stossdämpfer und eine kleine Box. «Die Platine in der Box haben wir entwickelt, sie unterstützt die Steuerung der sogenannten adaptiven Stossdämpfer, die sich innert Millisekunden der Belastung anpassen und Schläge ausbügeln», sagt Studer.
Nun kommen Mario Fischer und Pascal Jund in die Werkstatt. Die beiden Elektrotechnikstudenten schliessen Messgeräte an den Rennwagen an und testen die Signale, die das Elektroniksystem sendet. «Manchmal gehen Dinge kaputt, die wir für das nächste Rennen reparieren müssen», sagt Jund. «Und wir versuchen natürlich immer, überall zu optimieren.» Innerhalb des AMZ-Teams, das aus 16 Studierenden der ETH Zürich und vier der Hochschule Luzern besteht, sind die Luzerner für die gesamte Fahrzeugelektronik zuständig. Dazu gehören beispielsweise das Batteriemanagement oder die Konstruktion und Installation der Kabelbäume. Das vierte Teammitglied der Hochschule Luzern, Nicolas Ruff, ist an diesem Abend nicht in der Werkstatt. Ruff absolviert das Bachelor-Studium Wirtschaftsingenieur | Innovation und ist hauptsächlich für die Businessplanung zuständig. Er sorgt dafür, dass die Entwicklung und Produktion der Elektronikkomponenten innerhalb des Budgetrahmens umgesetzt wird.
Atemberaubende Beschleunigung
AMZ steht für den Akademischen Motorsportverein Zürich, der 2006 von Studierenden der ETH Zürich gegründet wurde, um an «Formula Student»-Wettbewerben teilzunehmen. Dort treten bis zu 600 Teams verschiedener Universitäten weltweit gegeneinander an. Seit 2010 die Klasse «Formula Student Electric» gegründet wurde, um den Ingenieurnachwuchs für die Zukunftstechnologie der elektrischen Antriebe zu rüsten, baut der AMZ nur noch Rennwagen mit Elektromotoren. An den Rennen dieser Serie müssen die Teams in «statischen» und «dynamischen» Disziplinen punkten. Zu den statischen Disziplinen gehören etwa das «Engineering Design», bei dem die Konstruktion des Fahrzeugs bewertet wird, oder die Finanzplanung für den Bau und den Betrieb des Rennwagens. Bei den dynamischen Disziplinen spielt der Faktor «Zeit» eine wichtige Rolle: Wie schnell ist der Rennwagen auf einem Kurs, der aus einer liegenden Acht, also nur aus Kurven, besteht? Wie flink kann ihn der Pilot um zahlreiche Pylonen manövrieren? Wie schnell ist er im Ausdauerrennen über 22 Kilometer, wenn dabei auch noch die Energieeffizienz gemessen wird? Und: Wie schnell beschleunigt der Wagen?
AMZ – eine Erfolgsgeschichte
2010 «furka»: Der erste elektrisch angetriebene Rennwagen fährt in der neu gegründeten Elektroklasse der Formula Student auf Rang 1. Angetrieben wird er von zwei Elektromotoren, die eine Leistung von 60 kW (82 PS) erbringen.
2011 «novena»: Zum ersten Mal kommen selbst entwickelte und selbst gefertigte Elektromotoren zum Einsatz.
2012 «umbrail»: Ein neues Aerodynamikpaket aus Front- und Heckflügel bringt den Wagen in 3,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h.
2013 «julier»: Die erste Version mit Allradantrieb geht an den Start. Insgesamt leistet der Wagen 147 kW (200 PS). Mit «julier» holt das AMZ-Team den Gesamtsieg in der Formula Student Electric und führt deren Weltrangliste an.
2014 «grimsel»: Mit einem Gewicht von nur 168 Kilogramm ist «grimsel» das leichteste Fahrzeug der Vereinsgeschichte.
2015 «flüela»: Mit ihm steht das Team zum dritten Mal in Folge an der Spitze der Formula-Student-Weltrangliste für Elektrofahrzeuge.
2016 «gotthard»: Das aktuelle Fahrzeug des AMZ. Es ist 172 Kilogramm leicht, die vier Motoren leisten zusammen 159 kW (216 PS). Mit dem Vorgängermodell «grimsel» stellte das Team im Juni 2016 gar einen neuen Weltrekord für Elektrofahrzeuge auf. Das «Leichtgewicht» beschleunigte in 1,513 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Mit «gotthard» kann das AMZ-Team die Führung in der Weltrangliste zwar nicht verteidigen, aber mit guten Resultaten (Gesamtsiege in Österreich und zweiter Platz in Spanien) trotzdem auf eine erfolgreiche Saison zurückblicken.
Weitere Informationen: www.amzracing.ch
Das Fahrzeug beschäftigt uns an sieben Tagen die Woche.
Letzteres ist so etwas wie die Königsdisziplin des AMZ-Teams. Schliesslich hält es aktuell den Weltrekord in der Beschleunigung eines elektrisch angetriebenen Fahrzeugs. Im Juni sprintete das AMZ-Rennauto «grimsel» auf dem Flugplatz in Dübendorf in sagenhaften 1,513 Sekunden von 0 auf 100 km/h. So schnell zieht kaum ein Verbrenner los. Medien im In- und Ausland berichteten darüber. So ist es auch die Kraft des Elektromotors, der die Studierenden fasziniert, und nicht nur der Umstand, damit einen alternativen, sauberen Antrieb zu haben. «Wir brauchen den Elektromotor auch wegen seiner Leistung, sie ist einfach überragend», sagt Mario Fischer. Für angehende Elektroingenieure mit Interesse am Automobil und am Rennsport sei es selbstverständlich, dass man Freude an dieser Antriebstechnik habe. Und Pascal Jund fügt an: «Es ist einfach toll, wenn man so schnell fahren kann, ohne Abgase zu produzieren.» Dann kommen sie ins Schwärmen – vom hohen Drehmoment, das vom Stand aus zur Verfügung steht und den Wagen aus den Startlöchern katapultiert; von der Möglichkeit, jedes Rad mit einem Motor zu versehen und die Kraft so zu verteilen, dass der Rennwagen äusserst wendig wird.
Industrieprojekt und Diplomarbeit
Seit Beginn der Elektrofahrzeugära des AMZ gehören jeweils Bachelor-Studierende der Hochschule Luzern, die das letzte Studienjahr absolvieren, zum Team. Sie setzen im Rahmen des AMZ-Engagements ein Industrieprojekt sowie ihre Diplomarbeit um. Der Bau des Elektrorennwagens ist eines von vielen Industrieprojekten, die von der Studiengangleitung ausgeschrieben werden. Unter allen, die ins AMZ-Team wollten, würden jene ausgewählt, die im Grundstudium schon gute Leistungen gezeigt hätten, sagt Urs Röthlisberger, Leiter der Abteilung Elektrotechnik der Hochschule Luzern. «Es braucht dafür ein überdurchschnittliches Engagement und den Willen, äusserst viel Zeit zu investieren, vor allem während der Rennsaison», erklärt er. Dies habe sich herumgesprochen, für die vier Plätze meldeten sich jeweils nicht mehr als ein Dutzend Interessenten. Dabei sprächen gute Gründe für eine Teilnahme beim AMZ: «Die Studierenden pushen dort eine zukunftsträchtige Technologie und müssen verschiedene Ingenieurdisziplinen verknüpfen, etwa Elektro- und Maschinentechnik. Und sie haben die Herausforderung, ihre Fähigkeiten in einem Wettbewerb unter Beweis zu stellen.»
Ab Semesterbeginn im September ist der Terminkalender des Teams voll. «Das Fahrzeug beschäftigt uns an sieben Tagen in der Woche», sagt Yves Studer. Dafür könnten sie etwas Einmaliges erleben. Und wenn das Auto gute Resultate herausfahre, sei dies ein schöner Lohn für den Aufwand. Die Spannung erreiche an den Rennevents, die ab Mitte Juli an Orten wie Silverstone oder Hockenheim stattfinden, jeweils ihren Höhepunkt. «Das ganze Team ist dann total im Rennfieber», sagt Studer. «Wenn unser Wagen nicht im Einsatz ist und gerade keine Wartungsarbeiten anstehen, schauen wir mit Argusaugen auf die Rundenzeiten der Konkurrenz.» Dass diese in den letzten Jahren oft weniger gut waren als jene des AMZ-Boliden, kommt nicht von ungefähr. «Der AMZ ist sehr ehrgeizig», erklärt Jund. «Das Team gibt immer alles.»
Wir versuchen natürlich immer, überall zu optimieren.
Dies sei in ihrem Fall auch notwendig. Das Team besteht aus rund 20 Leuten, andere Topteams haben bis zu 60 Mitglieder. Deshalb müsse das Zusammenspiel sehr gut funktionieren – nicht nur innerhalb der kleinen Spezialistengruppen. «Wenn es irgendwo Probleme gibt, helfen wir einander», sagt Fischer. Und wenn «gotthard» an den Rennen in die Box gebracht und für Reparaturen oder Wartungen vorbereitet wird, müssten die Handgriffe reibungslos sitzen. Aber auch ausserhalb des «Rennbetriebs» werden viele Aufgaben gemeinsam angepackt, etwa wenn es um den Transport des Fahrzeugs zu den Events geht, zum Beispiel nach Spanien oder Grossbritannien. Die AMZler haben dafür einen Lieferwagen und sitzen auch hier eigenhändig am Steuer.
Wertvolle Kontakte zur Branche
Von der Zusammenarbeit mit den anderen Studierenden profitiere jeder auch persönlich, sagt Yves Studer. «Wir lernen viel vom Austausch mit den angehenden Maschinentechnik-Ingenieuren der ETH Zürich.» Ausserdem kämen sie mit vielen Industrieunternehmen in Kontakt. «Sie sponsern uns nicht nur mit Geld, sie stellen für uns auch gratis Teile her, die wir entwickelt haben», erklärt Jund. Und bei den Anlässen, an denen die Fahrzeuge dem Fachpublikum präsentiert würden, komme es dann schon mal vor, dass jemand unverbindlich frage, was man denn nach dem Studium vorhabe. Ob die vier Elektrotechnikstudenten der Hochschule Luzern eine Karriere im Automobilbau anstreben werden, wissen sie noch nicht. So genau wollen sie sich da noch nicht festlegen. Sicher ist aber, dass sie von der E-Mobilität generell fasziniert sind.
In der Werkstatt wird es immer lebhafter. Die Maschinentechnikstudierenden der ETH Zürich kommen von einer Sitzung zurück und machen sich ebenfalls am Fahrzeug zu schaffen. Sie begutachten Teile der Verschalung. Der Abend ist mittlerweile der Nacht gewichen, aber das Licht in der Werkstatt bleibt noch eine Weile an. Schliesslich gilt es, den Rennwagen für den nächsten Wettbewerb startklar zu machen – wie immer mit dem Anspruch, dort den anderen Fahrzeugen eine Nasenlänge voraus zu sein.
Autor: Daniel von Känel
Bilder: Ingo Höhn