6,5 Tage pro Jahr – so lange fehlen Mitarbeitende in der Schweiz im Durchschnitt wegen Krankheit oder Unfall am Arbeitsplatz. Die Arbeitsunfähigkeit kann private Gründe haben oder durch die Arbeit verursacht sein. Von arbeitsbedingten Gesundheitsproblemen sind laut einer Hochrechnung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) in der Schweiz 1,1 Millionen Arbeitnehmende betroffen.
Laut SECO entstehen dadurch jährliche Kosten von mehr als 20 Milliarden Franken. Neben Behandlungskosten und Renten umfassen sie auch den betrieblichen Schaden durch Arbeitsausfälle und eine verminderte Produktivität. «Mit einem betrieblichen Gesundheitsmanagement lassen sich diese Kosten deutlich reduzieren», erklärt Gian-Claudio Gentile vom Institut für Sozialmanagement, Sozialpolitik und Prävention am Departement Soziale Arbeit. «Für jeden Franken, der in ein Gesundheitsmanagement fliesst, kann ein Unternehmen laut einschlägiger Studien zwischen 3 und 10 Franken sparen.»
Gemeinsam Verantwortung tragen
Betriebliche Gesundheitsförderung beugt körperlichen Risiken vor, die etwa durch das Heben von Lasten oder die Arbeit mit Chemikalien drohen. «Durch eine bewusst gestaltete Unternehmenskultur reduziert es aber auch psychosoziale Risiken, die von Stress oder Mobbing ausgehen», sagt Claudia Meier Magistretti, die als Dozentin und Projektleiterin am selben Institut tätig ist.
Darüber hinaus appelliert ein Gesundheitsmanagement an die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden. Es kann etwa Ernährungsworkshops oder die vergünstigte Abgabe von Fitnessabos umfassen.
«Ein ganzheitliches Gesundheitsmanagement geht damit weit über die Gesetze zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz hinaus», betont Meier Magistretti. «Es erschöpft sich nicht in punktuellen Massnahmen wie kostenlosem Obst oder wöchentlichen Lauftreffs», ergänzt Gentile. «Es verankert Mitarbeitergesundheit als eigenständigen Wert in der Strategie, den Strukturen und der Kultur des Unternehmens.» Dazu gehöre auch das Sensibilisieren von Vorgesetzten für Gesundheitsfragen oder die Aufnahme des Themas als fixes Traktandum in die wiederkehrenden Mitarbeitergespräche.
Leistungsfähigkeit erhalten
Primäres Ziel betrieblicher Gesundheitsförderung ist es, die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden nachhaltig zu erhalten. Davon profitieren Betrieb und Belegschaft gleichermassen. «Trotzdem pflegt bisher nur ein kleiner Teil der Unternehmen ein formell etabliertes Gesundheitsmanagement », sagt Meier Magistretti.
Eine repräsentative Studie im Dienstleistungssektor – dem immerhin 80 Prozent der Betriebe und 70 Prozent der Erwerbstätigen in der Schweiz zugerechnet werden – ergab u. a., dass lediglich ein Drittel der Unternehmen Massnahmen zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung trifft. Gerade mal 9 Prozent bieten Kurse zu gesunder Ernährung und Bewegung an. Immerhin 41 Prozent werten regelmässig ihre Absenzenstatistik aus. «Wenn etwas gemacht wird, sind es häufig isolierte Massnahmen. Es fehlen eine übergeordnete Strategie und standardisierte Prozesse», so Gentile.
Begrifflichkeiten sind zentral
Um herauszufinden, woran das liegt, lancierten Gentile und Meier Magistretti mit der Schweizerischen Gesellschaft für Organisation (SGO) ein Forschungsprojekt. Sie befragten 29 Vertreter der strategischen Führungsebene von Unternehmen, Non-Profit-Organisationen und der öffentlichen Verwaltung.
Eine zentrale Erkenntnis: Viele Führungskräfte sind unsicher, ob und wie sie Gesundheitsfragen thematisieren sollen. Sie fürchten, den Mitarbeitenden damit zu nahe zu treten. Gentile und Meier Magistretti stellten fest, dass diese Unsicherheit stark mit dem Begriff «Gesundheit» verbunden ist. «Gesundheit ist ein sensibles Thema, das viele als sehr privat empfinden», so Meier Magistretti.
Behandle man dieselben Fragen hingegen unter dem Begriff der «nachhaltigen Leistungsfähigkeit», falle es den Führungskräften einfacher, sich ihrer anzunehmen – schliesslich sei Leistungsfähigkeit in der Betriebswirtschaft ein bestens etablierter Begriff. «Solche Erkenntnisse können helfen, das betriebliche Gesundheitsmanagement zu verbreiten», so Meier Magistretti.
Vier Managertypen
Bei der Analyse der Gespräche wurde deutlich, dass sich die Befragten anhand zweier Merkmalspaare unterscheiden lassen: nämlich ob sie sich systematisch oder situativ mit Mitarbeitergesundheit befassen und ob sie gesundheitsbezogene Massnahmen proaktiv oder reaktiv ergreifen. Anhand dieser Kriterien teilten Gentile und Meier Magistretti die Manager in vier Typen ein: Patrons (situativ und reaktiv), Risikomanager (systematisch und reaktiv), Förderer (situativ und proaktiv) und Gesundheitsmanager (systematisch und proaktiv).
Gentile und Meier Magistretti ist es wichtig, zu betonen, dass ihre Typologie nicht wertend zu verstehen ist. Jedes Profil habe seine Stärken und Schwächen. Sie verstehen die Typologie vor allem als Analyseinstrument: «Sie soll Führungskräften helfen, ihre Haltung zu reflektieren und in ihrem Betrieb bereits vorhandene Ansätze eines Gesundheitsmanagements einfach und gezielt auszubauen», erklärt Gentile.
Die SGO will die Typologie in Workshops zu betrieblichem Gesundheitsmanagement einsetzen, die sie mit Meier Magistretti und Gentile durchführen will. Dazu Meier Magistretti: «Wir wollen die Führungskräfte abholen, wo sie aktuell stehen, und ihnen zeigen, dass auch mit kleinen Schritten eine stetige Verbesserung möglich ist.»
Autorin: Simona Stalder
Der Schlussbericht zum Projekt ist auf www.hslu.ch/bgm-chefsache zu finden.