Homosexualität ist heute in der Schweiz weniger tabuisiert als noch vor zwanzig, dreissig Jahren. Doch in der letzten Zeit häufen sich alarmierende Zeichen: Manche US-amerikanische Schwule, welche sich zeitlebens für eine tolerante Regenbogengesellschaft und Gleichberechtigung eingesetzt haben, sehen sich in der Alterspflege plötzlich überwunden geglaubten Diskriminierungen ausgesetzt. Befürchtungen werden wach, dass selbstverständliche Errungenschaften unversehens wieder in Frage gestellt werden können.
Wie sieht es in der Schweiz aus? Sind unsere Alterseinrichtungen sensibilisiert im Hinblick auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LGBTI) und HIV+/aidskranke Menschen im Alter von über 65 Jahren?
Zusammenarbeit von drei Fachhochschulen
PINK CROSS, die Dachorganisation der Schweizer Schwulengruppen, hat in Absprache mit der LOS (Lesbenorganisation Schweiz) und TNGS (Transgender Network Schweiz) eine Studie in Auftrag gegeben, welche die Sensibilisierung stationärer und ambulanter Alters- und Pflegeeinrichtungen und Ausbildungsstätten bezüglich der Bedürfnisse älterer LGBTI- sowie HIV+/aidskranker Menschen in der Schweiz untersuchen sollte.
Das Institut für Soziokulturelle Entwicklung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit befragte dafür Spitex-Organisationen. Die Gesamtstudie wurde vom Interdisziplinären Kompetenzzentrum Alter der Fachhochschule St. Gallen geleitet, das den Bereich der stationären Einrichtungen abdeckte. Ebenfalls mitgearbeitet hat das Institut Alter der Berner Fachhochschule, das die Situation in den Ausbildungsstätten untersuchte.
Vielfalt der Bewohnenden wird nur allgemein thematisiert
Gesamthaft haben zwischen 17 Prozent (ambulante Betreuungseinrichtungen), 26 Prozent (Alters- und Pflegeeinrichtungen und 66 Prozent (Ausbildungsstätten) der schweizweit kontaktierten Institutionen die Online-Umfrage vollständig beantwortet. Die Antwort auf die Kernfrage nach Kenntnis und Sensibilisierung zur LGBTI-Thematik oder zu HIV+/aidskranken Menschen lautet: Es steht insgesamt weniger schlecht um die vorhandene Sensibilität als anfänglich von der Fachgruppe Alter von PINK CROSS vermutet. Bei den Antwortenden treten keine unüberwindlichen Schwierigkeiten auf und niemand von ihnen ist gänzlich ablehnend eingestellt.
Dennoch steht es auch nicht so gut, dass sichergestellt wäre, dass jeder LGBTI- oder HIV+/aidskranke Mensch irgendwo in der Schweiz, insbesondere in einer Alters- und Pflegeeinrichtung, voll akzeptiert würde. In den Leitbildern und Verhaltenscodices wird, sofern sie überhaupt vorhanden sind, die Vielfalt der Bewohnenden nur allgemein thematisiert. «Im Bereich LGBTI-Menschen ist also noch Sensibilisierungsarbeit erforderlich», bilanziert PINK CROSS.
Die ambulanten Pflegedienste erfüllen ihre Aufgaben gemäss ihrem jeweiligen Auftrag und nannten ebenfalls kaum Schwierigkeiten. In Ausbildungsstätten für Pflegepersonal bestehen Lücken insbesondere in den Grundausbildungen, weil das Thema LGBTI-Menschen zu marginal sei. «Wie – leider – nicht anders zu erwarten war, ist das Wissen über Transgender und Intersexualität sehr gering oder überhaupt nicht vorhanden. Schliesslich ist festzustellen, dass durchwegs mehr Wissen und vor allem mehr Erfahrungen zu HIV+/aidskranken Menschen vorhanden sind als zu LGBTI-Menschen», schreibt PINK CROSS.
Weitere Informationen sind auf der Website von PINK CROSS zu finden.