In der Übersicht
Im Kanton Thurgau sind jährlich ca. 800 Kinder von häuslicher Gewalt betroffen. Heute ist unbestritten, dass häusliche Gewalt allgemein und elterliche Partnerschaftsgewalt im Besonderen eine (potenzielle) Kindeswohlgefährdung darstellen. Studien aus verschiedenen Ländern haben übereinstimmend gezeigt, dass sich das Erleben der Gewalt negativ auf die (psychische) Gesundheit von Kindern auswirkt. Die erlebte Gewalt wirkt sich aber nicht auf alle Kinder und Jugendlichen gleich aus. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl bekannter Faktoren auf verschiedenen Ebenen, die die negativen Folgen der Gewalt abpuffern können (Schutz-/Resilienzfaktoren). Hierzu zählen z. B. ein positives Selbstwertgefühl oder soziale Unterstützung. Diese Schutzfaktoren gilt es zu stärken.
Mit der Ratifizierung der sog. Istanbul-Konvention (IK), hat sich die Schweiz u. a. verpflichtet, bei der Bereitstellung von Schutz- und Hilfsdiensten für Betroffene die Rechte und Bedürfnisse von Kindern gebührend zu berücksichtigen, die Zeug:innen von Gewaltformen geworden sind, die unter die Istanbul-Konvention fallen (Art. 26 Abs. 1 IK). Zu diesen Massnahmen zählen auch psychosoziale Beratungsangebote für die betroffenen Kinder (Art. 26 Abs. 2 IK). Eine Studie der HSLU in Zusammenarbeit mit der HES-SO Wallis/Valais und der Universität Fribourg zur Umsetzung der Artikel 26 und 31 IK hat jedoch gezeigt, dass bis Ende 2023 nur 14 Kantone über Angebote zur zeitnahen und direkten Kontaktaufnahme mit und psychosozialen Unterstützung von gewaltbetroffenen Kindern verfügten. Sie hat zudem gezeigt, dass bisher kaum aussagekräftige Studien zur nachhaltigen Wirkung dieser Angebote vorliegen. Es gibt jedoch empirische Hinweise, dass diese Frühinterventionen, die die Kinder direkt adressieren, einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden und das Sicherheitsgefühl der Kinder haben können. Sie können ausserdem die Schutzkompetenzen der Eltern fördern.
Auch im Kanton Thurgau bestand bis 2024 kein solches Angebot. Im Rahmen der Umsetzung der Istanbul-Konvention und unter Berücksichtigung der Regierungsrichtlinie zur Überprüfung der Strukturen des Kindesschutzes 2020-2024 hat die Kommission Gewaltprävention den Bedarf für ein solches Angebot im Kanton jedoch geprüft und ein Rahmenkonzept für Kinderansprachen nach Häuslicher Gewalt erarbeitet.
Im Rahmen der Studie wird das Projekt der Kinderansprachen mit Hilfe geeigneter qualitativer und quantitativer Methoden evaluiert, wobei insbesondere auch die Perspektive der Familien berücksichtigt wird. Ziel ist es,
- die Nutzer:innen und die erbrachten Leistungen zu beschreiben,
- die Wirksamkeit der Massnahme unter Alltagsbedingungen sowie den Nutzen der Intervention zu untersuchen sowie
- förderliche und hinderliche Faktoren für das Gelingen der Intervention auf Ebene der beteiligten Organisationen/Behörden, Projektstruktur, Fachpersonen und Familien herauszuarbeiten.
Aufbauend auf diesen Befunden werden Empfehlungen mit Blick auf die Weiterführung des Projektes abgegeben.