Overview
Obwohl Appenzell und Toggenburg im Herzen Europas liegen, fusst die dortige Jodelkultur nicht auf westlichen Musikvermittlungskonzepten. Entsprechend kann sich eine musikkognitive Studie weder auf vorgegebene musiktheoretische Hintergründe noch auf ein bestehendes Vokabular stützen, sondern muss musiktheoretisch neutrale Methoden erarbeiten und einsetzen, und die gewonnenen Erkenntnisse aus einem musikethnologischen Blickwinkel interpretieren.
Erfahrene Jodler und Jodlerinnen in Appenzell und Toggenburg verfügen über ein enorm grosses Repertoire an Jodelmelodien, die sich zwar deutlich unterscheiden, von denen aber unkundige Zuhörer sagen würden: ‚die hören sich ja alle gleich an‘. Um zu erforschen, wie die Jodler und Jodlerinnen ihren Melodienschatz imaginär ordnen, damit eine einzelne Melodie jederzeit abgerufen werden kann, setzten wir unsere musikkognitiven Forschungsschwerpunkte auf Wahrnehmung, Differenzierung und Memorisierung dieser Musik, die nicht notiert wird und eine visuelle Memorisierung des Notenblattes unmöglich macht. Wir fragen uns ebenso, welche Rolle die Differenzierung bei den Memorisierungsprozessen übernimmt, vornehmlich, welche musikalischen Eigenschaften (Melodielinien, rhythmische Struktur etc.) verantwortlich dafür sind, dass eine bestimmte Jodelmelodie entweder als Variante einer bereits bekannten Melodie oder als eine eigenständige Melodie ‚gespeichert‘ wird.
Tondokumente und speziell aufgezeichnete Jodelmelodien am Zentrum für Appenzeller und Toggenburger Volksmusik in Gonten (ROOTHUS GONTEN) bilden das Forschungsmaterial, das zusätzlich durch Aufnahmen relevanter Melodien ergänzt werden kann. Sowohl Differenzierung als auch Memorisierung werden zugleich bewusst und unbewusst individuell durchgeführt, somit muss eine empirische Studie, in Form einer musikethnologischen Feldforschung, einen Hauptteil der Gesamtuntersuchung bilden.