Bevor Grossunternehmen den Schritt ins Ausland wagen, beschäftigen sich ganze Abteilungen mit den damit verbundenen Chancen und Risiken. Viele KMU können hingegen nicht auf solche Ressourcen zurückgreifen. Deshalb hat die Hochschule Luzern – Wirtschaft in Zusammenarbeit mit dem «KMU-Magazin» mittels einer Online-Befragung analysiert, wie denn kleine und mittlere Firmen zu einem Entscheid bezüglich Internationalisierung gelangen und den Erfolg im Ausland sichern. Das Forschungsteam hat insbesondere untersucht, wie Vertrauen, Netzwerke, Intuition (Bauchgefühl) sowie persönliche Erfahrungen der KMU-Verantwortlichen deren Expansionsvorhaben beeinflussen. «Auf diese Faktoren zu bauen, scheint insbesondere deshalb sinnvoll, um die vorhandenen Ressourcen- und Strukturnachteile gegenüber Grossunternehmen auszugleichen», sagt Studienleiter Frank E.P. Dievernich vom Institut für Betriebs- und Regionalökonomie IBR.
Es gilt das Prinzip «Learning by doing»
Für die Umfrage wurden die Antworten von 128 Unternehmen ausgewertet, die grossmehrheitlich aus der deutschsprachigen Schweiz kommen. Die meisten sind im Industriesektor tätig, gefolgt von den Bereichen Dienstleistungen und Handel. 88 Prozent der Firmen sind bereits im Ausland aktiv.
Die Studie zeigt, dass die Unternehmen bei ihrem Expansionskurs vor allem auf das Prinzip «Learning by doing» setzen. 74 Prozent geben an, durch konkretes Handeln ihr Wissen über Internationalisierung aufzubauen, theoretische Modelle zum Thema sind weniger bekannt und werden demzufolge auch nicht angewendet. Damit werden die eigenen Erfahrungen zur Theoriekompetenz der Unternehmerinnen und Unternehmer. «Das heisst, dass die Persönlichkeit und der Erfahrungsschatz der KMU-Entscheidungsträger eine gewichtige Rolle bei der Internationalisierung erhalten – eine gewichtigere als in einem Grossunternehmen», sagt Dievernich.
Für die Befragten ist klar, über welche Eigenschaften die Entscheidungsträger verfügen müssen – unabhängig davon, ob ein Unternehmen vor dem ersten Schritt ins Ausland steht oder dort bereits aktiv ist und diese Tätigkeit ausbauen will: Fast 90 Prozent nennen internationale und interkulturelle Erfahrung sowie unternehmerische Kompetenz (87 Prozent). Das Selbstvertrauen der Verantwortlichen ist gemäss 94 Prozent der Befragten ein weiterer ausschlaggebender Faktor für den Erfolg. Dem (geschäftlichen und privaten) Netzwerk wird mit 95 Prozent eine sehr relevante oder relevante Funktion in Bezug auf eine erfolgreiche Expansion ins Ausland zugeschrieben. Beispielsweise nutzen 65 Prozent ihr geschäftliches Netzwerk, um eventuelle Bedenken bezüglich der Strategie zu reduzieren. Die eigentliche Planungskompetenz ist jedoch nur für die Hälfte der Befragten relevant. «Planung erscheint bloss als ‹Hygienefaktor›, um organisatorische Unsicherheit zu beherrschen», sagt Dievernich. Die Intuition wird von mehr als der Hälfte als relevant oder gar als sehr relevant für den Internationalisierungserfolg angegeben.
Ein Drittel aller Befragten bezeichnet sich zudem grundsätzlich als «intuitiv Entscheidende», bei einem weiteren Drittel spielt das Bauchgefühl noch teilweise mit. «Die Intuition ist also die Basis, auf der die Entscheide gefällt werden. Der Bauch redet mit», sagt Dievernich. Auf die Frage jedoch, inwiefern die Geschäftstätigkeit des eigenen Unternehmens im Ausland intuitiv begründet ist, antworten fast 60 Prozent, dass dies nur kaum oder gar nicht zu trifft. Vielmehr ist gemäss 63 Prozent der KMUEntscheidungsträger der Entschluss für eine Expansion vornehmlich aufgrund einer gezielten Planung erfolgt. «Hier wird die Diskrepanz zwischen der eigenen wahrgenommenen Intuitionskompetenz und der konkreten Nutzung deutlich», sagt Dievernich.
Den Emotionen wiederum wird von lediglich 40 Prozent einen Einfluss zugesprochen. «Die neuesten Ergebnisse der Emotions- und Entscheidungsforschung weisen aber darauf hin, dass kein Mensch ohne Emotionen Entscheidungen treffen kann. Ob wir also wollen oder nicht, Emotionen spielen dabei eine massgebliche Rolle», sagt Dievernich.
Theoretisches Grundwissen aufbauen und bisherige Kompetenzen
reflektieren
Das Forschungsteam kommt aufgrund der Ergebnisse zum Schluss, dass die intuitiven, vertrauensorientierten und netzwerkbasierten Faktoren eine wichtige Rolle spielen, wenn sich KMU mit der Frage der Internationalisierung auseinandersetzen. «Mit diesem Potenzial können die Firmen erfolgreiche und tragfähige Entscheide treffen – auch wenn sie nicht über umfangreiche Marktforschungsabteilungen wie Grossunternehmen verfügen», erläutert Dievernich das Ergebnis.
Trotzdem rät das Expertenteam den KMU, ihr theoretisches Grundwissen aufzubauen. «Zudem gilt es, bisher nur ad hoc eingesetzte Kompetenzen wie die Nutzung des Netzwerks, das Vertrauen ins eigene Handeln und das intuitive Agieren bewusst einzusetzen. Besonders wichtig ist dabei die Intuition», so Dievernich. «Mit ihr können Entscheide auch emotional gefestigt werden.»
Die Studie kann kostenlos bestellt werden unter Hochschule Luzern – Wirtschaft, Institut für Betriebs- und Regionalökonomie IBR, Zentralstrasse 9, Postfach 2940, 6002 Luzern; Telefon +41 41 228 41 50, E-Mail: ibr@hslu.ch.
Unternehmen werden begleitet – interessierte Firmen können sich melden
Aufbauend auf der erfolgten Online-Umfrage zur Internationalisierung von KMU will die Hochschule Luzern – Wirtschaft ein KTI-Forschungsprojekt durchführen: Ausgewählte Unternehmen sollen auf ihrem Expansionskurs ins Ausland mit individuellen Entscheidungsprozessen, Strategien und Umsetzungsplänen begleitet und supervisiert werden. Interessierte Unternehmen können sich melden: Hochschule Luzern – Wirtschaft, Institut für Betriebs- und Regionalökonomie IBR, Zentralstrasse 9, Postfach 2940, 6002 Luzern; Telefon +41 41 228 41 50, E-Mail: ibr@hslu.ch