Warum entstehen gerade in Luzern die Departemente Technik & Architektur, Wirtschaft, Informatik, Soziale Arbeit, Design & Kunst und Musik?
Vor 20 Jahren wurden unterschiedliche Schultypen zur Fachhochschule Zentralschweiz zusammengefasst. Als die Schulen aufgebaut wurden, wirkten Wellen von Schulgründungen in Europa zusammen mit lokalen Faktoren und Personen als Treibern. Dazu kommen die Industrialisierung und das Bedürfnis nach lokal ausgebildeten Fachkräften. Allgemein konnten sich weiterführende Berufsschulen erst bilden, als sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Volksschulen entwickelt hatten. Schulen gab es zwar schon vorher, aber die richteten sich an Eliten.
Welche Rolle spielt die Lage Luzerns?
Wegen seiner Geografie hat Luzern eine relativ starke Zentrumsfunktion in der Zentralschweiz. Das Technikum im Kanton Zürich entsteht in Winterthur, das Berner in Burgdorf oder Biel. Aber in Luzern ist das zentralisiert. Zudem ist Luzern auch wegen seiner Lage schon früh stark als Fremdenstadt und im Tourismus.
Wer trug damals die Schulen – immer die gleichen Institutionen?
Spannenderweise haben die Vorgängerschulen unterschiedliche Träger, der Staat ist häufig absent. Im katholischen Milieu sind es die Verbände wie der Katholische Frauenbund bei der Sozial-caritativen Frauenschule, aus der das Departement Soziale Arbeit entsteht, zusammen mit dem Kloster Menzingen. Hingegen entsteht aus einer Genossenschaft heraus das Musikkonservatorium.
Wann mischt sich der Staat ein?
Ab dem 19. Jahrhundert übernimmt er sukzessive den Bildungsauftrag von der Kirche. Gerade der liberale Staat sieht die Bildung auch als Volksaufklärung. Die Leute wissen, dass Bildung und Demokratie zusammenhängen. Und je nach Vorstellung, wie ein Staat getragen und ausgestaltet sein soll, fördert man eben Bildung mehr oder weniger. Spezifisch schweizerisch ist die Dominanz der Kantone und die enge Verbindung von Wirtschaft und Berufsausbildung. Auch der junge Bundesstaat fördert die technische Ausbildung und gründet 1855 das Eidgenössische Polytechnikum in Zürich (heute ETH). Ab 1884 subventioniert er die Berufsausbildung, so auch die Kunstgewerbeschulen. Damit gewinnt er an Einfluss in der Berufsbildung, während das Schulwesen und die Universitäten kantonal organisiert bleiben.
Wie kommt es, dass alle Vorgänger- Schulen auf Praxisorientierung ausgerichtet sind?
Die heutigen Fachhochschulen werden allesamt, sei es als Kunstgewerbeschule, Technikum oder Kirchenmusikschule, auf ein späteres Berufsfeld ausgerichtet. Die Universitäten entstehen in der Schweiz ab den 1830er-Jahren, so in Zürich und Bern; nur die bereits im Mittelalter gegründete Universität Basel war deutlich früher. Aber die katholische Schweiz, die schläft.
Tatsächlich?
Die will einfach nicht. 1871 haben die Katholisch-Konservativen in Luzern wieder die Oberhand. Das heisst: Bildung ist akzeptiert, aber sie kommt wieder stärker unter die Obhut der Kirche. Das sehen Sie im Stundenplan der Sozial-caritativen Frauenschule, die 1918 gegründet wird: Eine Mischung aus Religion, katholischer Heilpädagogik, neuem Berufsbild und traditioneller Haushaltsarbeit.
Diese Schule entsteht in Zusammenarbeit mit der Katholischen Kirche – ein typisch Zentralschweizerischer Vorgang?
Das entspricht der Art und Weise, wie katholische europäische Gesellschaften auf die Industrialisierung und die soziale Frage reagieren. Ein aufblühendes Vereinswesen engagiert sich, und die Kirche ist in ein weltanschauliches und politisches Gesellschaftsgeflecht integriert. Sie übt so auch prägenden Einfluss aus. Hier arbeitet der katholische Frauenbund, der seinen Schweiz-Sitz in Luzern hat, zusammen mit den Menzinger Schwestern, einer Frauenkongregation. Dazu braucht es aber auch weitere Personen, die die Sache voranbringen.
Sie meinen Leiterin Maria Croenlein?
Sie war Mitbegründerin und 1918 bis 1930 Leiterin. Sie hatte die Soziale Frauenschule Heidelberg absolviert und daher das nötige professionelle Wissen. Bevor die Universität Fribourg gegründet wurde, gingen Katholiken zum Studium ins katholische Süddeutschland. Aber nicht an eine reformierte Universität wie Zürich oder Bern, das wäre wohl eine Art «Verrat» am Milieu gewesen.
Zu Beginn ist die Arbeit ehrenamtlich. An wen richtet sich diese Schule?
Soziale Arbeit wird bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nicht oder schlecht bezahlt und meist von Frauen getätigt. In einem ersten Prospekt findet man Hinweise, wer angesprochen wird: Mitglieder religiöser Gemeinschaften, die immer mehr Caritasaufgaben übernehmen müssen, und junge Damen, deren Lebensverhältnisse es erlauben, ehrenamtlich tätig zu sein. Ohnehin ist das vollzeitliche Arbeiten von Frauen gesellschaftlich immer noch stark an eine zölibatäre Lebensweise gebunden.
Älter ist die Kunstgewerbeschule, Vorgängerin des Departements Design & Kunst. Warum entstand diese Schule so früh?
Schon Ende des 18. Jahrhunderts gab es Zeichenschulen, ab 1748 in Genf, Basel, Zürich, ab 1783 in Luzern. 1873 schneidet die Schweiz auf der Weltausstellung in Wien schlecht ab. Das gibt den Impuls, 1877 die erste Kunstgewerbeschule der Deutschschweiz zu gründen. Weiter geholfen hat sicher auch die Dynamik des Industriestandortes Schweiz – zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Industrie in voller Blüte.
Eine gewisse Rolle spielen offenbar aber auch die schönen Künste. 1942 werden das Konservatorium Luzern und die Akademie für Schul- und Kirchenmusik Luzern gegründet.
Wir sind hier in Luzern. Hier treibt nicht die Industrie die Entwicklung voran, sondern der Tourismus – und die Musik hängt damit zusammen. Die Internationalen Musikfestwochen kommen ja nicht zufällig 1938 hierher. Viele bedeutende Künstler und Kunstpädagogen fliehen vor den Nationalsozialisten in die Schweiz.
Hier sind Exilanten die treibende Kraft?
Ja, indem es gelingt, Lehrkräfte von internationalem Ruf zu gewinnen. Die Idee eines Konservatoriums liegt schon lange in der Luft. 1909 regt der Luzerner Musikdirektor eine Gründung an. Politiker wie Stadtpräsident Jakob Zimmerli arbeiten sehr systematisch auf ein Konservatorium hin.
Also diesmal keine Gründungswelle?
Bei der Akademie für Schul- und Kirchenmusik Luzern schon. In Rom wird 1929 eine Internationale Gesellschaft zur Erneuerung der Kirchenmusik gegründet, die 1942 zur Gründung einer Kunstmusikschule in Luzern führt. Solche Impulse können ausschlaggebend sein, wenn noch wirkungsmächtige Personen ins Spiel kommen – das spielt auch in der Kunstgewerbeschule eine Rolle.
Die Kunstgewerbeschule wird erst ab den 1920er-Jahren katholisch.
In diesen Dekaden erlebt der Verbandskatholizismus und mit ihm das katholische Milieu eine Hochphase. Zudem ist die Kirche eine wichtige Trägerin und Mäzenin von Kultur. Joseph von Moos verankerte den Gedanken von der «Erneuerung und Wiedergeburt einer katholischen Kunst» so tief im Selbstverständnis der Schule, dass sie auch unter seinen Nachfolgern Gebhard Utinger und Josef Mühle bis in die 1960er-Jahre als katholische Kunstgewerbeschule galt.
Warum dauert es bis 1958, bis endlich das Technikum gegründet wird, der Vorläufer des Departements Technik & Architektur?
Es gibt zwei Gründungswellen von Technikumsschulen. Die erste vor dem Ersten Weltkrieg, da ist Winterthur 1874 ganz früh. Die zweite nach dem Zweiten Weltkrieg, da ist Luzern mit 1958 früh dabei. In der Zwischenkriegszeit läuft wenig, man steckt tief in der Krise und blickt pessimistisch in die Zukunft. Selbst noch 1950 zweifelt der Erziehungsdirektor an der genügend breiten industriellen Basis im Kanton für ein Technikum. Es braucht die Hochkonjunktur nach dem Zweiten Weltkrieg, bis alle verstehen, dass die Wirtschaft boomt. Die lokalen industriellen Zentren brauchen gut ausgebildete technische Arbeitskräfte, und man will sie auch lokal ausbilden. So wird das Projekt angestossen von Jungpolitikern, grossen Verbänden und der Luzerner Kantonsregierung.
Und auch die Gründung der Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule 1971 erfüllt die Bedürfnisse der Wirtschaft der Zeit?
Ja, es ist auch ein Zeichen der Professionalisierung, um den komplexer werdenden Ansprüchen genügen zu können und Arbeitskräfte für leitende Funktionen zu haben.
2016 wird das Departement Informatik gegründet …
Auch hier gibt es klar einen Treiber – die Informationstechnologie durchdringt alle Lebensbereiche. Man reagiert mit der Stärkung der Informatik-Ausbildung konsequent auf die Bedürfnisse in Gesellschaft und Wirtschaft. Vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein fand über alle Departemente hinweg eine laufende Professionalisierung statt, die immer neue Schultypen erzeugte und bis zu einem gewissen Grad die Ausbildung verlängerte. Da bewegt sich Luzern absolut im schweizerischen Rhythmus.
Interview: Valeria Heintges
Bilder: Hochschule Luzern / Max Wyss