Laut Bundesamt für Statistik können 88 Prozent der Menschen mit Behinderung die öffentlichen Verkehrsmittel in der Schweiz ohne Probleme selbstständig nutzen. Das klingt doch nicht schlecht ...
Die Zugänglichkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln hat sich stark verbessert. Allerdings mussten viele Erfolge bis vor Bundesgericht erstritten werden. Zudem wurden in dieser Befragung Menschen über 65 Jahre nicht berücksichtigt. Dass auch ältere Personen mit Handicaps zu kämpfen haben, geht häufig vergessen.
Was muss sich noch verbessern?
Mobilität ist ein wichtiger Faktor für die Lebensqualität von Menschen mit Behinderung, aber für eine echte Gleichberechtigung braucht es auch in anderen Bereichen Fortschritte. Es gibt zum Beispiel unzählige Gebäude, die für Menschen mit Behinderung ohne fremde Hilfe nur schwer oder gar nicht zugänglich sind. Auch fehlt es vielerorts an einfachen Bedienhilfen für Automaten oder an offiziellen Dokumenten, die in leicht verständlicher Sprache verfasst sind. Solche Verbesserungen zugunsten von Menschen mit Behinderung kommen letztlich der ganzen Gesellschaft zugute.
Die Schweiz hat 2014 die UNO-Behindertenrechtskonvention (BRK) ratifiziert. Was erwarten Sie von diesem Übereinkommen?
Viel! Die Konvention stellt massgebliche Forderungen an den Staat und die Zivilgesellschaft, um die Menschenrechte auch für Menschen mit Behinderung sicherzustellen. Im Artikel 20 zur persönlichen Mobilität zielt die BRK darauf ab, Menschen mit Behinderung grösstmögliche Unabhängigkeit zu ermöglichen, sei es mit unterstützenden Technologien oder menschlicher Hilfe. Bund, Kantone, aber auch Private sind nun gefordert, die wesentlichen Punkte der Konvention umzusetzen. Der Bund geht im öffentlichen Verkehr oder mit dem Projekt E-Accessibility für digitale Barrierefreiheit mit gutem Beispiel voran.
Rechtlich verbindlich ist die Konvention jedoch nicht, und überall wird gespart. So hat der Kanton Zürich die Beiträge für den Transportdienst ProMobil halbiert.
Da gebe ich Ihnen recht. Es gibt aber Kantone, die sich des Themas trotz Sparmassnahmen sehr ausführlich annehmen. So erarbeiten wir mit dem Kanton Luzern derzeit ein Leitbild für Menschen mit Behinderungen.
Worauf wird dabei besonders Wert gelegt?
Wir orientieren uns stark an der UNO-Behindertenrechtskonvention und empfehlen, bei der Entwicklung behindertengerechter Lösungen stärker von den Bedürfnissen einzelner Personen auszugehen. Die Frage muss lauten: Wie ermöglichen wir Menschen mit Behinderung, so zu leben, wie sie wollen? Es gibt zum Beispiel Behinderte, die lieber in einer WG oder mit dem Partner leben und im Supermarkt arbeiten als in einer Behinderteneinrichtung mit Wohn- und Arbeitsplätzen. So etwas muss möglich sein.
Interview: Mirella Wepf