Heute darf Frau M. mit ihrem Neugeborenen das Spital verlassen. Eine sichtlich unter Zeitdruck stehende Krankenschwester gibt ihr im Zweibettzimmer Tipps für die Babypflege, während die Bettnachbarin Besuch empfängt und eine Raumpflegerin den Boden wischt. Frau M. fühlt sich überfordert und verlässt das Spital mit einem unguten Gefühl. «Dieses fiktive Fallbeispiel illustriert einen der Prozesse, die wir in der Neuen Frauenklinik des Luzerner Kantonsspitals (LUKS) untersucht haben: den Spitalaustritt», erläutert Hans Kaspar Hugentobler, Dozent und Designwissenschaftler am Departement Design & Kunst der Hochschule Luzern. In einem schweizweit bisher einmaligen Projekt optimierten er und sein Team mit Hilfe von Designwissenschaft vielschichtige Prozesse im Krankenhaus.
Irritationen auf den Grund gehen
Gemäss den Untersuchungen des Expertenteams der Hochschule erlebten viele Wöchnerinnen beim Austritt Irritationen, die medizinische und organisatorische Ursachen haben. Aber nicht nur die Patientinnen profitieren, wenn Prozesse wie der Spitalaustritt gut organisiert sind. Schwächen im Austrittsmanagement etwa führen zu Verzögerungen, die das Spital Geld kosten, was spätestens seit der Einführung der Fallpauschalen schmerzt.
So lief denn auch bereits ein spitalinternes Projekt zur Prozessoptimierung, an das Hugentobler mit seinem von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) finanzierten Projekt anknüpfen konnte. «Neben dem Austrittsmanagement wollten wir schon länger Themen wie Besuchszeiten, Ruhezeiten ohne pflegerische Interventionen sowie das Sozialverhalten in den Zweibettzimmern anpacken. Das Projekt mit der Hochschule Luzern hat uns die nötigen Werkzeuge dazu in die Hand gegeben», sagt Regula Furger, Abteilungsleiterin Mutter & Kind am LUKS. Hugentobler schlug vor, zur Optimierung dieser komplexen Prozesse Methoden der Designwissenschaft einzusetzen, die sich auch auf die Planung und Gestaltung von Dienstleistungsprozessen anwenden lassen. Dabei werden die Interaktionen zwischen den Beteiligten wie auch die für die Dienstleistung benötigten Mittel und Prozesse kritisch beleuchtet. Den unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Entsprechend wurde eine interprofessionelle Gruppe zusammengestellt aus Pflegenden, Ärzten, Hebammen, Stillberaterinnen, Patientinnen sowie einer externen Hebamme. Zum ersten Mal hätten am LUKS interne und externe Personen Prozesse gemeinsam analysiert und neue Konzepte entwickelt, erläutert Furger, und Hugentobler ergänzt: «Wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tauchten regelrecht in die Erfahrungswelt der Patientinnen und Mitarbeitenden ein.»
Zufriedenheit nimmt zu
Die Patientinnen wurden gebeten, ein Tagebuch über ihren Aufenthalt am LUKS zu schreiben. Zusätzlich führte das Forschungsteam der Hochschule Luzern mit den Frauen sowie den Angestellten Gespräche und wertete diese nach der Grounded-Theory-Methode aus, die sich besonders dazu anbot, die in den Schilderungen liegenden Themen zu erfassen. Dabei kamen 19 Handlungsfelder, sogenannte Issues, zum Vorschein, darunter der Spitalaustritt. Für die fünf relevantesten Issues entwickelten die Teilnehmenden in einem Workshop gemeinsam Lösungen. Vorschläge für einen optimalen Austritt waren etwa, dass eine erfahrene Pflegefachperson, die für die nötige Zeit von anderen Verpflichtungen freigestellt und entsprechend trainiert ist, den medizinischen Teil des Austrittsgesprächs in einem separaten Zimmer führt. Für alles Wissenswerte für die Zeit nach dem Austritt wird der Ehemann bzw. Partner einbezogen. Zusätzlich werden die Informationen schriftlich abgegeben, und die Patientin erhält zum Abschied ein kleines Geschenk.
Abteilungsleiterin Regula Furger findet nur lobende Worte für das Projekt: «Wir haben alle Vorschläge umgesetzt und arbeiten seit rund einem Jahr damit. Die Zufriedenheit der Patientinnen ist messbar gestiegen. Und für uns Mitarbeitende war es bereichernd, mit neuen Augen auf unsere Arbeit zu blicken.»
Text: Eva Schümperli-Keller