Über annähernd 3’400 Betonbrücken rollt in der Schweiz der Schwerverkehr. Die meisten sind bereits 50 bis 60 Jahre alt. Hundert Jahre sollten die Brücken ohne zu versagen überstehen, rechnete man zu ihrer Bauzeit. Das Verkehrsaufkommen war damals aber viel kleiner als heute, und Normen, die man bei den Berechnungen als Grundlage hatte, gaben viel kleinere Belastungen vor. Ob und wann diese Stahlbetonbrücken wegen Materialermüdung saniert werden müssen, ist deshalb oft unklar.
Der «Lastwagen» fuhr Tag und Nacht
Ingenieure der Hochschule Luzern – Technik & Architektur haben nun fast drei Jahre lang geprüft, wie sich die Belastung durch Schwerverkehr auf Brücken auswirkt. Dafür haben sie ein 12 Meter langes Stück Stahlbetonbrücke aufgebaut sowie drei hydraulische Pressen, die ununterbrochen das Überfahren eines 27 Tonnen schweren Lastwagens simulierten. «Wir wollten die Annahmen zur Materialermüdung aus der Zeit, als die Brücken gebaut wurden, unter den heutigen Bedingungen überprüfen», sagt Gregor Borkowski vom Kompetenzzentrum für Konstruktiven Ingenieurbau. Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) hat diese Forschung im Wesentlichen finanziert.
«Als wir Ende 2012 starteten, erwarteten wir, dass die Brücke nach rund drei Millionen simulierten Fahrten zusammenbricht», sagt Karel Thoma, Dozent für Massivbau und Leiter des Forschungsprojekts. Doch es kam anders: «Nach zehn Millionen Zyklen gab es immer noch keine erkennbare Materialermüdung; daher mussten wir das Experiment beenden.» Die Forscher führten den Bruch statisch herbei, indem sie den Druck der Presse stetig erhöhten. «Der Bruch selber hat uns ebenfalls wertvolle Daten geliefert, beispielsweise zum Spannungszustand innerhalb des Tragwerks», so Thoma.
Noch einige Wissenslücken
Die Feststellung, dass Ermüdungsbrüche auch lange nach der angenommenen Belastungsgrenze noch nicht auftreten, sei aus Forschersicht kein ausreichendes Erfolgserlebnis, sagt Thoma. «Das haben wir erst, wenn wir auch mechanisch erklären können, warum die Brücke nicht ermüdet.» Der Versuch zeige, dass in diesem Bereich noch viel Forschungspotenzial stecke, sagt er. «Man kann die Annahmen von früher und die mittlerweile geltenden Normen nicht herbeiziehen, um den Sanierungsbedarf vollständig zu definieren», sagt Borkowski. «Es gibt noch einige Wissenslücken.» Diese zu schliessen, lohne sich auf jeden Fall. Das Resultat des ersten grossen Dauerbelastungstests deutet zwar darauf hin, dass eine grosse Sanierungswelle wegen Materialermüdung noch länger nicht droht. Für eine präzise Beurteilung muss die Forschung aber zuerst das nächste Geheimnis dieser Brücken lüften: den Grund, warum sie nicht «müde» werden.
Autor: Daniel von Känel