«Die Schweiz war für den Austausch naheliegend, da mein Freund hier lebt. Ganz ehrlich: Sonst hätte ich mir das hier auch nie leisten können, weil ich in Deutschland nur Vollzeit studieren und deshalb nicht noch nebenher arbeiten kann. Ich bin aber auch hierhergekommen, weil ich im Vorfeld über die Schweiz als Einwanderungsland schon so einiges gehört hatte – Stichwort Minarettverbot. Besonders spannend fand ich deshalb das Modul Migration und Integration. Mit der öffentlichen Diskussion über die Ventilklausel sowie die Abstimmung zum Asylgesetz war das auch brandaktuell. Erschreckend fand ich, wie die Tagespresse die Stimmung gegenüber Migranten und Minderheiten widergegeben hat. Aufgrund des Moduls bin ich aber sicher auch sensibler gewesen.
Das Studium in Luzern ist inhaltlich ähnlich, jedoch praxisorientierter als in Nürnberg. Es werden viel mehr Gruppenarbeiten gemacht, was ungewohnt für mich war. In Nürnberg haben wir mehr klassische Vorlesungen und schriftliche Arbeiten. Dafür bin ich so schnell mit meinen Mitstudierenden in Kontakt gekommen. Die Gruppenarbeiten haben mir gut gefallen, aber rein praktisch haben wir viel Energie darauf verwenden müssen, uns untereinander zu organisieren, auch weil die berufsbegleitend Studierenden in ihren Zeitmöglichkeiten eingeschränkt sind. Natürlich ist die Fähigkeit, sich in Gruppen zu organisieren, auch eine wichtige Praxiskompetenz.
An Luzern besonders gereizt hat mich auch der Schwerpunkt Kindesschutz. In Nürnberg hätte ich im Gegensatz zu Luzern kein Modul dazu belegen können. Im Unterricht haben wir an einem fiktiven Praxisfall das Vorgehen bei Kindesschutzmassnahmen in der Schweiz gelernt. Es ist zwar nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar, aber mit dem Vorwissen über das deutsche Recht weiss ich nun trotzdem, wie ich die Massnahmen durchführen müsste. Ich habe mir auch noch überlegt, ein Praktikum in einer Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde in der Schweiz zu machen. Das ist der einzige Kritikpunkt am Austausch: Leider sind die Praktikumsplätze hiesigen Studierenden vorbehalten.
Am besten gefallen hat mir jedoch das interdisziplinäre Modul ‹Zukunft des Arbeitens›. Erstens kam man da schon nur durch die Frage ‹Was studierst du?› schnell in Kontakt, zweitens war es inhaltlich total spannend: Ich habe mit einem Studenten der Hochschule Luzern – Technik & Architektur einen Home-Office-Arbeiter, seine Partnerin und seinen Chef interviewt. Dazu haben wir eine Betriebsführung zu flexiblen Arbeitsformen bei Microsoft gemacht. Durch immer neue Arbeitsplätze und Begegnungszonen kommt man da offenbar schnell mit Kolleginnen und Kollegen in Kontakt, und das scheint zumindest für die IT-Branche gut zu funktionieren.
Die Schweizerinnen und Schweizer habe ich hauptsächlich als nett und offen erlebt. Nie war ich mit dem ÖV pünktlicher unterwegs, und echt super fand ich den Blumenstrauss im Waschraum der Toiletten zu Studienbeginn. Was für ein herzliches willkommen! Besonders erwähnen möchte ich noch die unkomplizierte und nette Betreuung seitens der Hochschule Luzern: Sogar die Anmeldung für das Migrationsamt wurde für mich vorbereitet. Natürlich gab es auch Missverständnisse: So hatten wir in einem Modul einen Ausflug geplant, wir sollten uns beim Car-Parkplatz treffen. Ich habe ‹Car› mit Auto übersetzt und verzweifelt nach meinen Mitstudierenden gesucht – dass der ‹Car› ein Bus ist, habe ich erst knapp vor der Abfahrt gemerkt.
In Deutschland werde ich im fünften Semester nun mein Praktikum in der Familienhilfe machen. Später möchte ich sicher in die Beratung gehen, das habe ich schon bei meiner Erstausbildung auf der Bank sehr gemocht. Meine Produkte sind jetzt dann einfach andere. Ich kann sagen, dass ich das Austauschsemester sehr genossen habe. Es hat mich gelehrt, flexibel auf Veränderungen zu reagieren und über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Ich kann es sehr weiterempfehlen – allerdings nur guten Gewissens, wenn die finanzielle Seite gesichert ist. Die Lebenshaltungskosten in der Schweiz sind teuer, dass sind sich vielleicht manche Austauschstudierende gar nicht bewusst.»
Aufgezeichnet von: Alexandra Karpf