Wann wurde klar, dass der Unterricht nicht mehr in der üblichen Form stattfinden kann?
Am Freitag, 13. März. Dann wurde verkündet, dass kein Präsenzunterricht mehr möglich ist. Das kam zusammen mit dem Entscheid des Bundesrates.
Wie schnell konntet ihr reagieren?
Ich habe sofort bei Kollegen und Kolleginnen in anderen Instituten nachgefragt, wie sie digital arbeiten. Anfangs wollte ich alle ursprünglich geplanten Lehrstrukturen in digitale Formen überführen. Aber dann wurde mir rasch klar, dass dies nicht geht. Hierfür hätten wir Applikationen programmieren lassen müssen. Stattdessen rückte die Frage in den Vordergrund, was die entscheidenden Ziele des Unterrichts sind und wie man diesen unter den gegebenen Umständen gerecht wird.
Geht das? Und kannst du uns ein Beispiel eines der Ziele geben?
Ja, das geht – mit Konzentration auf das Wesentliche. Nehmen wir das Ziel, die im Jahr aufgebauten gestalterischen Kompetenzen in einem Gruppenprojekt anzuwenden und zu vertiefen. Es geht darum, dass die Studierenden gegen Ende des Vorkurses nochmals lustvoll an einem eigenen Projekt arbeiten. Deshalb gibt es auch kein vorgegebenes Thema, sondern sie sollen sich selber eine gestalterische Fragestellung erarbeiten. Dabei setzen wir in der aktuellen Situation in der Kommunikation mit den Studierenden verstärkt auf verschiedene digitale Tools: Gleich zu Beginn des Moduls haben wir mit rund 100 Studierenden den Auftakt über die Kommunikationsplattform Zoom gemacht. Wir benutzen auch digitale Infowände, wo alle relevanten Informationen publiziert werden. Zusätzlich führen wir einen internen, nichtöffentlichen Blog, der als Präsentationsplattform dient. Dort können sowohl die Mentorinnen und Mentoren als auch die Studierenden den aktuellen Stand der Arbeiten einsehen. Das funktioniert ganz gut.
Technisch war es für die Studierenden kein Problem?
Für die meisten war es kein Problem. Aber natürlich gab es auch Missverständnisse. Etwa beim Blog. Alle Studierenden und Dozierenden benutzen das gleiche Login. Wenn man Kommentare hinterlässt, weiss man also nicht, wer sie geschrieben hat. Das wurde dann aber schnell allen klar.
Und die Zusammenarbeit funktioniert gut?
Es fehlt die Körpersprache. Und es ist eine andere Situation, wenn man mit 20 anderen Personen in einem Raum sitzt und arbeitet. Gewisse Arbeiten können nicht so gut besprochen werden, wenn man nicht physisch agieren kann. Aber es gibt auch wunderbare Sachen, die nun entstanden sind. Spielerische Arbeiten, die sich mit der aktuellen Situation auseinandersetzen. Wirklich positiv finde ich auch, dass wir als Dozierende und Mitarbeitende nun auf Augenhöhe mit den Studierenden sind. Wir wurden zusammen mit ihnen ins kalte Wasser geworfen. Nun müssen wir halt alle improvisieren, die digitalen Mittel kreativ einsetzen. Und das ist sehr spannend.
Bild oben: Tim Rüegg, Student Gestalterischer Vorkurs
Wie hast du die Zeit Anfang März erlebt?
Ich habe mich vor allem an anderen Ländern orientiert und vermutet, dass die Bildungsinstitute auch bei uns in der Schweiz bald auf Distance Learning umstellen müssen. Eigentlich nehme ich ausgewählte Unterrichte seit Jahren auf Video auf und stelle sie auf Youtube. Das erlaubt mir, Studierende später auf einzelne Lektionen und Tutorials hinzuweisen. Das entspricht auch der Lernweise vieler Studentinnen und Studenten, die sich die Sound Design Software über von mir produzierte Lehrvideos und dazugehörige Übungen selber beibringen. Das mache ich schon seit zirka drei Jahren. Der eigentliche Unterricht findet dann als Workshops zu anderen Sound Design-relevanten Themen statt.
Und den führt ihr nun über digitale Medien?
Ja, klar. Und das ist natürlich nicht das Gleiche. Dozieren heisst auch, Feedbacks zu geben. Rückmeldungen nur über die Stimme funktionieren nicht gleich gut wie im 1:1, und es gibt auch technische Unsicherheiten wie Rauschen/Abbrüche. Wir haben dann auf eine Software namens Discord umgestellt. Das ist ein Produkt, das ursprünglich aus der Gaming-Industrie kommt und riesige Gruppen von mehreren tausend Leuten zusammenführt. Mit dieser Software konnten wir ein virtuelles Klassenzimmer aufbauen, in dem die Studierenden miteinander verbunden sind. Gerade heute hat mir eine Studentin gesagt, dass sie das toll findet. Und was mir auch aufgefallen ist: Die Studierenden sind grundsätzlich diszipliniert und machen beim virtuellen Unterricht mit.
Gibt es auch Gruppenarbeiten?
Die grössten Arbeiten, die in Gruppen geschehen, sind bei uns die Abschlussfilme, deren Produktion neun Monate dauert. Die können Studierende alleine machen, aber in der Regel geschieht dies in Gruppen von zwei bis sechs Personen. Im Rahmen der Abschlussarbeiten gibt es dann Gruppen-Talks, und es braucht auch Helfer. Die vermitteln wir über eine digitale Studierenden-Börse, bei der Absolventinnen und Absolventen ihre Abschlussarbeiten präsentieren und auf welcher sich Studierende aus dem ersten und zweiten Studienjahr melden können, um unterstützende Aufgaben bei den einzelnen Film-Produktionen zu übernehmen – kleinere Animationen, Coloring, Feinzeichnen, Scannen, oder Mithilfe beim Sound Design.
Hat die momentane Situation auch Auswirkungen auf die Inhalte der Abschlussfilme?
Nein, dafür ist es zu spät. Die Arbeit an den Abschlussfilmen begann schon im letzten Herbst. Aber wir haben aktuell einen Abschlussfilm, in dem es um eine Person geht, die von ihren Mitmenschen immer zurückgestossen wird. Das bekommt dann eine neue Aktualität.
Wie gehen die Studierenden mit der Situation um?
Ich sehe eine grosse Solidarität von Seiten der Studierenden, einen grossen Zusammenhalt. Auch Offenheit gegenüber dem digitalen Unterricht, was ja eigentlich ein Versuchsfeld ist. Grundsätzlich sind sie sehr dankbar für die Möglichkeiten, die wir ihnen als Hochschule bieten. Das zeigt mir auch, dass wir innerhalb der Studienrichtung einen guten Kitt haben.
Und du persönlich?
Es hat mein Lehren verändert. Ich möchte den Kontaktunterricht nicht missen, der ist sehr wichtig. Gleichzeitig merke ich, dass die Digitalisierung es ermöglicht, die Studierenden in ihrem eigenen Tempo lernen zu lassen, indem sie auf archiviertes Material zugreifen können. Oft schauen wir dieses auch zusammen an und diskutieren dann auf Zoom oder via Discord-Chat darüber. Daran habe ich Freude.
Wirst du die digitalen Unterrichtsmittel auch nach der Krise beibehalten?
Die didaktischen Mittel werde ich auch nach der Krise beibehalten. Die Idee des virtuellen Unterrichts hatten wir bei der Animation schon lange. Jetzt aber setzen wir es konkret um. Wir möchten eine digitale Datenbank aufbauen, auf die die Studierenden zugreifen können, um Lehrinhalte zu repetieren und ihr Wissen aufzufrischen. In diesem Sinne ist die aktuelle Situation auch eine Gelegenheit, um Erfahrungen zu sammeln.
Bild oben: Thomas Gassmann, Dozent für Sound Design, Bachelor Animation und Master Film
Euer Aufnahmeverfahren besteht ja aus einem 24h-Aufnahmetag, an dem Studienbewerberinnen und -bewerber eingeladen sind, innerhalb von 24 Stunden einen Beitrag zu realisieren. Normalerweise findet er vor Ort an der 745 Viscosistadt statt. Wie lief das dieses Jahr?
Sebastian: Der Aufnahmetag war am 6./7. April und lief ganz gut. Wir haben eigens für den Aufnahmetag eine digitale Plattform programmieren lassen. Die Leute konnten sich auf einer Webseite einloggen, die sie dann in eine Lobby führte. Dort gab es verschiedene «Räume», in denen sich Bewerberinnen und Bewerber mit aktuellen Studierenden und Dozierenden trafen, mit dem «Roulette» als Herzstück. Hier waren zusätzlich wir 24 internationale Gäste dabei – stündlich jemand anderes – die ebenfalls mit den Leuten interagierten. Man wurde dann zufällig mit einer dieser Personen in einem virtuellen Raum verbunden – äquivalent zu den informellen «Gang-Gesprächen» an der Hochschule, also die persönlichen Treffen in der Lobby oder in der Cafeteria. Zusätzlich gab es dann auch VIP-Räume, in denen wir die Bewerbungsgespräche führten. Und drittens auch eine «Stage», wo zum Beispiel ein Student als DJ auftrat oder der Hausdienst eine Führung durch die 745 Viscosistadt machte usw.
Das klingt aufwändig.
San: Ja, aufwändig war es schon. Aber es hat sich gelohnt. Es gab den Bewerberinnen und Bewerbern und den Studierenden die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen und zu vernetzen. Uns wurde nach dem Aufnahmetag zugetragen, dass es zu guten Gesprächen kam. Wir möchten das Tool auch in Zukunft weiter benutzen, v.a. im Austausch mit Schulen in Ausland. Erstaunlicherweise erzeugten die Räume eine grosse Nähe, obwohl wir uns in einer digitalen Welt bewegten.
Wie haben die Bewerberinnen und Bewerber ihre Arbeiten präsentiert?
San: Wir schauen vor allem auf die Energie der Leute, auf die Fähigkeit zum Diskurs, auf die Art und Weise, wie sie auf Gespräche eingehen und wie sie denken. Und das kann man auch sehr gut im digitalen Format herausfinden. Was visuell und zweidimensional ist, lässt sich gut präsentieren. Aber wir hatten auch einige Performances: Leute, die etwas in der eigenen Wohnung inszeniert haben. Klar geht etwas verloren, wenn eine Arbeit dreidimensional ist, es entsteht ein ungewollter Interpretationsraum, wenn man etwas nicht sieht. Aber für unsere Zwecke hat es sehr gut funktioniert.
Sebastian: Und die Übersetzung gibt es ja immer, ob an einem Aufnahmetag in real-life oder virtuell. Es gibt immer Leute, die können ihre Arbeit nicht so zeigen, wie sie es gerne möchten. Vieles hängt halt davon ab, wie die Bewerberinnen und Bewerber die Situation anpacken. Und das haben sie wirklich gut gemacht. Trotz den Umständen haben wir es geschafft, uns 24 Stunden lang in einem Haus mit verschiedenen Zimmern zu bewegen. Und es hat sich auch so angefühlt. Zusätzlich sind auch Situationen entstanden, die es sonst nicht gegeben hätte. Zum Beispiel mit den Gästen. Da waren Leute aus Buenos Aires dabei, Berlin, München. Das hätten wir sonst logistisch nie hingekriegt.
Bild: 24h-Aufnahmetag, Bachelor Kunst & Vermittlung