Der Schweizer Regionalverkehr am Scheideweg
In Deutschland suchen die Behörden mittels wettbewerblicher Verfahren den besten Anbieter für den Betrieb einer Linie oder eines Netzes im regionalen Schienenverkehr. In der Schweiz halten Bund und Kantone am Bestellverfahren fest, in dem sie die Konditionen zusammen mit den Bestandsunternehmen aushandeln. Direktvergaben sind mit zwei grundsätzlichen Herausforderungen konfrontiert: Aufgrund von Informationsasymmetrien haben die Behörden Mühe festzustellen, ob die Angebote der Transportunternehmen „marktgerecht“ sind. Eine fehlende glaubhafte Drohkulisse limitiert die Möglichkeiten der Behörden, durch die Verhandlungen tatsächlichen Einfluss auf die Effizienz der Transportunternehmen zu nehmen. Die aktuell verwendeten Wettbewerbssurrogate wie Benchmarking sind aufwändig und limitiert, womit sich unweigerlich die Frage nach dem „wie weiter?“ stellt.
Die Rolle der Transaktionskosten
Das Kompetenzzentrum Mobilität hat das Thema Organisation des regionalen Schienenpersonenverkehrs mit finanzieller Unterstützung des Forschungsfonds der SBB, welcher der Universität St. Gallen angegliedert ist, aus dem Blickwinkel der Transaktionskosten untersucht. In der Vergangenheit hat sich die Forschung in erster Linie auf die Wirkungen der wettbewerblichen Organisationsform auf die Effizienz in der Bereitstellung von Leistungen des Regionalverkehrs konzentriert. Die Transaktionskosten, die anfallen, um diesen ‚künstlichen Markt‘ überhaupt zu schaffen und zu ‚betreiben‘, wurden meist nur am Rande erwähnt. Methodisch basiert die Forschung auf vergleichenden Fallstudien von S-Bahnen aus Deutschland und der Schweiz. Dabei zeigte sich, dass neben ‚klassischen‘ Informations- oder Verhandlungskosten im Rahmen der Vergabeverfahren auch komplexe institutionelle Rahmenbedingungen und Kompetenzen aufgebaut werden müssen, damit das Wettbewerbsmodell funktioniert. Aus Kundensicht zentral sind zudem die sogenannten Regieleistungen wie die Fahrplan- und Tarifintegration oder die angebotsübergreifende Kundeninformation. Diese Leistungen bedürfen häufig einer Koordination, was im Wettbewerbsmodell explizit sicherzustellen ist. Schliesslich gilt es, auch die Entwicklung der Transaktionskosten über die Zeit zu betrachten.
Wer ist günstiger?
Unsere Studie gelangt zum Schluss, dass viele transaktionskostenerhöhende Faktoren nicht ursächlich auf den Wettbewerb zurückzuführen sind, sondern ähnlich auch bei Direktvergaben auftreten, so z.B. Akteursvielfalt oder Komplexität. Zudem fallen in Deutschland die vergleichsweise hohen Kosten der wettbewerblichen Verfahren nur alle 10 bis 20 Jahre an und verteilen sich auf eine sehr hohe Abgeltungssumme. In Deutschland war allerdings ein aufwändiger ‚institutioneller‘ Vorlauf zum Aufbau funktionierender Rahmenbedingungen nötig. Dazu gehörten auch schmerzhafte, transaktionskostenintensive Erfahrungen. Mit der Zeit stellten sich jedoch Routinen ein und Musterunterlagen ermöglichen heute schlanke Verfahren. Der zentrale Transaktionskostentreiber in Deutschland ist heute die Notwendigkeit, den Markt zu jeder Zeit attraktiv für Bieter zu halten. Die Behörden schlüpfen in die Rolle des „Market Makers“ und übernehmen vermehrt Risiken der Verkehrsunternehmen, weil diese beispielsweise als Folge der Finanzkrise Mühe mit der Finanzierung der geforderten Rollmaterialinvestitionen bekunden. Dies führt in der Tendenz zu einem auf die reine Betriebsleistung beschränken Wettbewerb (‚Fuhrhalterei‘). Eher transaktionskostensenkend wirkt der Umstand, dass infolge der Einführung von Wettbewerb genauestens definiert werden muss, welche Leistungen gewünscht (und damit abgegolten) sind und welche Akteure welche Rollen einnehmen.
Im Gegensatz zum eher ‚kostenorientierten‘ deutschen System kann das Schweizer System als ‚innovationsorientiert‘ bezeichnet werden. Dank regelmässigen Verfahren und eher weichen Budgetrestriktionen entsteht ein Aktivismus, der dem System zwar zweifelsohne zu Gute kommt, aber auch hohe Transaktionskosten mit sich bringt. Demgegenüber deutlich transaktionskostensenkend wirkt die partnerschaftliche und auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit zwischen den Akteuren, die sich im Rahmen der langjährigen Beziehungen etabliert hat.
Wie weiter mit dem Schweizer Modell?
Das deutsche Modell stellt aus Sicht der Transaktionskosten eine mögliche Ausgangsbasis für einen ‚Schweizer Weg in den Wettbewerb‘ dar. Ein Systemwechsel ist politisch derzeit jedoch keine Option. Für die Weiterentwicklung des bestehenden Systems mit Direktvergaben bieten sich eine Reihe von Massnahmen an. Ein Beispiel wäre die Etablierung von längerfristigen Vertragsbeziehungen oder weniger kleinräumigen und professionelleren Strukturen. Schliesslich bleibt in der Diskussion um Wettbewerb zu beachten, dass die in der Schweiz möglichen Wettbewerbsdividenden nicht mit denjenigen vergleichbar sind, die in Deutschland nach der Bahnreform 1993 qualitativ und quantitativ (im Schnitt rund 25% tiefere Beschaffungspreise) beobachtet wurden. Einerseits kann die damalige Ausgangslage getrost als marode bezeichnet werden, andererseits brachte die Bahnreform eine Reihe weitere Massnahmen, wie z.B. eine Finanz- und Strukturreform, die heute in der Schweiz bereits vergleichbar umgesetzt sind.
Der detaillierte Schlussbericht kann hier eingesehen werden.