In ihrer Masterarbeit entwickelte sie eine Entscheidungsunterstützungskarte, die Häuser nach ihrer Energieeffizienz bewertet – und es politischen Entscheidungsträgern wie auch Immobilienbesitzende ermöglicht, Sanierungen gezielt zu priorisieren, Emissionen zu senken und klüger in Energie zu investieren.
In diesem Interview spricht Ezgi über ihre Motivation, ihre Methoden und wie ihre Leidenschaft für Nachhaltigkeit zu einer datenbasierten Lösung für eine grünere Zukunft wurde.
Ezgi Köker Gökgöl, Absolventin des MSc in Applied Information and Data Science an der Hochschule Luzern, entwickelte eine Entscheidungsunterstützungskarte, um Gebäude mit dem höchsten Sanierungsbedarf zu identifizieren.
Einleitung und Hintergrund
Zunächst zu dir persönlich: Welche Hashtags beschreiben dich am besten?
#AnalytischesDenken #Rätsellöserin #DatenFürDieZukunft #Naturverbunden
Erzähl uns mehr zu den Hashtags.
Für mich ist jede Aufgabe oder jedes Problem wie ein Puzzle im Leben. Mein Kopf erstellt automatisch Algorithmen – manchmal sogar auf unvorhersehbar komplexem Niveau. Mit der Zeit habe ich erkannt, dass man die besten Resultate erzielt, wenn man gross träumt und diese Träume dann mit den realen Gegebenheiten abgleicht, um konkrete Schritte abzuleiten. Die grösste Bedrohung, der wir aktuell gegenüberstehen, ist die globale Erwärmung. Mein grösster Traum ist es, zur Nachhaltigkeit des Lebens beizutragen – für uns und für zukünftige Generationen. Ich glaube, dass der produktivste Weg, dieses Ziel zu erreichen, darin besteht, vorhandene Daten zu nutzen, um die Dringlichkeit zu erkennen und unter den möglichen Optionen die realistischsten Lösungen auszuwählen.
Nun zu deiner beruflichen Tätigkeit: Was machst du beruflich?
Aktuell bin ich nicht berufstätig und auf der Suche nach einer Möglichkeit, meinen Traum zu verwirklichen.
Was hast du vorher gemacht?
Bevor ich in die Schweiz kam, war ich in der akademischen Forschung in der Türkei tätig. Mein Schwerpunkt lag auf der Optimierung von Wasserversorgungsnetzen mit dem Ziel, die Wasserqualität zu verbessern und Leckagen zu minimieren – als Beitrag zur Nachhaltigkeit des Lebens. Parallel dazu arbeitete ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Middle East Technical University. Nach meinem Umzug in die Schweiz entschied ich mich, mein Wissen im Bereich Data Science zu erweitern und meine technischen Fähigkeiten auf den neuesten Stand zu bringen. Aus diesem Grund begann ich den Masterstudiengang Applied Information and Data Science an der Hochschule Luzern.
Das Projekt
Erzähl uns von deinem Forschungsprojekt.
Bevor ich erkläre, was genau gemacht wurde, möchte ich die Motivation hinter der Arbeit erläutern. Der Energiesektor ist für fast drei Viertel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich und Gebäude machen etwa ein Drittel davon aus. Der grösste Anteil des Endenergieverbrauchs in Gebäuden entfällt auf Heizungssysteme, die meist von fossilen Brennstoffen abhängig sind. Um mit dem wachsenden Energiebedarf einer steigenden Bevölkerung Schritt zu halten, ist eine sofortige Energiewende unerlässlich.
Angesichts des grossen Investitionsvolumens für energetische Sanierungen ist es für Entscheidungsträger entscheidend, gezielt jene Gebäude auszuwählen, bei denen die Massnahmen den grössten Effekt erzielen. Auch für Hauseigentümerinnen und -eigentümer ist es hilfreich zu wissen, wo ihr Gebäude in Bezug auf Energieeffizienz steht – das kann zu Sanierungsentscheiden führen, die nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll sind.
Vor diesem Hintergrund war das Ziel meiner Masterarbeit, eine Entscheidungsunterstützungskarte zu entwickeln. Diese basiert auf einem Bewertungssystem, das Gebäude innerhalb einer Gemeinde – je nach Energiebedarf, Heizsystemtyp und Alter – von «gut» bis «schlecht» einstuft. Der spezifische Heizenergiebedarf (Energy Use Intensity) ist dabei der Hauptindikator, steht aber nur in wenigen Ländern flächendeckend zur Verfügung. Deshalb habe ich als Fallstudie eine kleinere Schweizer Gemeinde ausgewählt: Wittenbach im Kanton St. Gallen.
Auf Basis öffentlich zugänglicher Gebäudedaten und Energiebedarfszahlen wurde ein Ranking mittels der Analytic Hierarchy Process (AHP)-Methode erstellt. Jedes Gebäude wurde anhand der Kriterien Energieverbrauch, Heizsystem und Baujahr bewertet und erhielt eine Gesamtnote auf einer Energieeffizienzskala. Die Resultate wurden anschliessend visuell auf einer Gemeindekarte dargestellt – als Entscheidungsgrundlage zur Auswahl geeigneter Sanierungskandidaten.
Welche Daten und Methoden hast du verwendet und welche wichtigen Erkenntnisse hast du daraus gewonnen?
Für die Fallstudie wurde die Gemeinde Wittenbach ausgewählt, eine Ortschaft im Kanton St. Gallen. Die Gebäudeeigenschaften stammen aus dem kantonalen Register, das über das Bundesamt für Statistik – Eidgenössisches Gebäude- und Wohnungsregister verfügbar ist. Die zweite notwendige Datengrundlage zur Erstellung des Rankings waren die Energiebedarfsdaten der Haushalte in Wittenbach. Diese wurden vom Bundesamt für Energie veröffentlicht und stammen aus der schweizweiten Heizbedarfskarte für Wohn- und Geschäftsgebäude. Die zugrundeliegenden Daten wurden vom Verband Fernwärme Schweiz bereitgestellt und basieren ebenfalls auf dem Gebäude- und Wohnungsregister.
Anhand dieser Daten – also physikalische Eigenschaften der Gebäude sowie Heizenergiebedarf – wurde ein multikriterielles Bewertungssystem mit der Methode Analytic Hierarchy Process (AHP) entwickelt. Diese Methode dient dazu, eine Zielsetzung – wie z. B. die Auswahl der besten Kandidaten – über mehrere gewichtete Kriterien hinweg strukturiert zu erreichen. Jedes Gebäude innerhalb der Gemeinde wurde hinsichtlich Energieverbrauch, bestehendem Heizsystem und Baujahr analysiert. Daraus wurde eine Gesamtbewertung abgeleitet, die das Energieeffizienzniveau jedes Gebäudes abbildet. Diese Bewertungen wurden anschliessend visuell auf der Gemeindekarte dargestellt – als Entscheidungsgrundlage für gezielte energetische Sanierungen.
Ergebnisse und Erkenntnisse
Wie können deine Ergebnisse unserer Gesellschaft helfen?
Die in dieser Arbeit entwickelte mehrschichtige Entscheidungsunterstützungskarte mit interaktiven Details bietet sowohl Hauseigentümerinnen und -eigentümern als auch Entscheidungsträgern einen Mehrwert bei der Einschätzung von Sanierungspotenzialen.
Für Hauseigentümerinnen und -eigentümer ermöglicht die Karte eine einfache Einschätzung der Energieeffizienz des eigenen Gebäudes – und den Vergleich mit anderen Gebäuden innerhalb der Gemeinde. Die gewonnenen Erkenntnisse machen deutlich: Eine energetische Sanierung bringt nicht nur ökologische Vorteile, sondern kann sich auch wirtschaftlich positiv auf den Haushalt auswirken, etwa durch deutlich geringeren Energieverbrauch.
Für politische Entscheidungsträger bietet die Karte einen überblick über besonders sanierungsbedürftige Gebäude sowie über räumliche Häufungen niedriger Effizienzwerte. Diese Informationen helfen, Investitionen gezielter zu planen, regionale Förderprogramme zu entwickeln oder Gemeindestrategien basierend auf Effizienzklassen und deren Verteilung zu gestalten.
Wie möchtest du dein Projekt in Zukunft weiterverfolgen?
Mein grösster Traum während der Arbeit an diesem Projekt war es, dass die Ergebnisse eines Tages in eine konkrete und umsetzbare Lösung einfliessen. Für mich wäre das der beste Beweis dafür, dass sich die Arbeit gelohnt hat. Und tatsächlich: Die Resultate meiner Masterarbeit wurden später als Ausgangspunkt für ein grösseres Forschungsprojekt verwendet – ein Empfehlungssystem für den Ersatz von Energiesystemen im Rahmen des Projekts Energy Demand Governance (EDGE). Meine Betreuenden waren an diesem Projekt beteiligt, und es war sehr erfüllend für mich, einen Beitrag zu einer realen Lösung leisten zu können.
Wie hat dein Studium das Projekt beeinflusst?
Der Master in Applied Information and Data Science an der HSLU bietet eine grosse thematische Bandbreite – von Gesundheitssystemen über Energiemodelle bis hin zu Computational Language Technologies. Diese Vielfalt hat mir geholfen zu erkennen, welche Themen mich am meisten interessieren, bevor ich mich für ein Thema für meine Masterarbeit entschieden habe. So konnte ich gezielter und wirkungsvoller zur Nachhaltigkeit beitragen. Darüber hinaus konnte ich durch das Studium meine Programmierkenntnisse und mein Wissen über neue statistische Methoden erweitern. Das hat mir ermöglicht, das Maximum aus meiner Arbeit herauszuholen. Auch wenn es nicht direkt mit meiner Masterarbeit zu tun hatte, war es spannend, durch Module wie Business Administration oder Data Ideation Einblicke in andere Perspektiven zu erhalten – gerade weil ich ursprünglich aus dem Ingenieurwesen komme.
Welchen Rat würdest du anderen geben, die ähnliche Projekte starten?
Ich bin überzeugt, dass alle Forschungsarbeiten von Neugier und Interesse getragen werden. Mein Ratschlag an andere wäre: Findet das Thema, das euch während des Studiums am meisten fasziniert, und macht es zum Kern eurer Masterarbeit. Der Schreibprozess einer Thesis ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Es gibt gute und herausfordernde Phasen – und was einem in den schwierigen Momenten hilft, ist die Begeisterung für das eigene Thema und der Glaube daran, dass es einen Unterschied machen kann.
Und nun zum Schluss: Welchen neuen Hashtag strebst du für die Zukunft an?
#NachhaltigeZukunft: Für eine Zukunft, in der Menschen bewusster und verantwortungsvoller mit dem Planeten umgehen.
#MitLiebeWirken: Um meinen Platz im Leben zu finden, an dem ich zu diesem Ziel beitragen kann.
Wir bedanken uns bei Ezgi Köker Gökgöl für das Engagement und die Zeit, um mit uns dieses wundervolle Forschungsprojekt zu teilen.
Ezgi Köker Gökgöl trug mit ihrer Masterarbeit zu einem peer-reviewten Fachartikel bei, der in der wissenschaftlichen Zeitschrift Energy and Buildings (Elsevier) veröffentlicht wurde.
Erfahre mehr: «Eine gemeinschaftsbasierte Entscheidungshilfe für die energetische Sanierung von Gebäuden für eine nachhaltigere Zukunft»
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