Dr. Friederike Jurth, Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar
Die Kompositionspraxis des Samba-Enredo, des thematisch gebundenen Samba-Songs aus den Sambaschulen von Rio de Janeiro, welcher jährlich von Komponistengruppen zu einer vorgegebenen Thematik neu für den anstehenden Karnevalsumzug im Sambódromo geschaffen wird, steht im Zentrum des Vortrags. Im vielschichtigen Vorgang des kreativen musikalischen und poetischen Schaffensprozesses, der auch im Mittelpunkt von Friederike Jurths Dissertation steht, sind für den Erfolg einer aus Musikern und Textdichtern bestehenden Komponistengruppe (Parceria) nicht nur die individuellen Ideen und Vorstellungen der einzelnen Komponisten ausschlaggebend. Sowohl ungeschriebene ästhetische Regeln, die diversen oral überlieferten Traditionen entspringen, als auch neue, schriftlich fixierte Vorgaben übergeordneter Instanzen sind im gegenwärtigen Kontext für den Erfolg der Kompositionen relevant und müssen von ihren Schöpfern berücksichtigt werden.
Das komplexe Spannungsfeld, welches die Komponisten im Samba-Enredo zwischen die Fronten von Tradition und Moderne befördert, soll im Music Talk vorgestellt und von verschiedenen Seiten beleuchtet werden. Neben der Frage von Theorie und Praxis, also den maßgeblichen schriftlichen Regeln und den oral übermittelten Kompositionsnormen, kommen auch die Veränderungen des gesellschaftlichen, politischen und sozialen Kontextes zur Sprache, die die Sambaschulen und ihre Komponisten in einem zunehmend global und kommerziell ausgerichteten Karneval vor jährlich wachsende Herausforderungen stellen.